Gegen Unsicherheit in der Corona-Krise: Forderungen der Hochschulgewerkschaft unter_bau an das Präsidium der Goethe-Universität.

Gegen Unsicherheit in der Corona-Krise: Forderungen der Hochschulgewerkschaft unter_bau an das Präsidium der Goethe-Universität.

Das ist ein älterer Stand der Forderungen von unter_bau. Der aktuelle Stand des Forderungskatalogs mit Stand 19. April 2020 findet sich unter: https://unterbau.org/2020/04/19/semesterbeginn-aktualisierte-forderungen-zur-corona-krise-von-unter_bau/

Die weltweite Ausbreitung des Coronavirus hat innerhalb weniger Wochen das Leben von Millionen Menschen stark beeinflusst. Bereits früh deutete sich an, dass die Gesundheitskrise auch erhebliche politische und wirtschaftliche Konsequenzen haben würde. Insbesondere Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen – die sich nicht auf eine tarifvertraglich festgelegte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder die Zahlung von Kurzarbeitendengeld verlassen können – befinden sich derzeit in einer verunsichernden oder gar existenzbedrohenden Situation. Der neoliberale Umbau der Universitäten hat dafür gesorgt, dass nun auch im Hochschulbereich viele in stark prekäre Lagen geraten.

Als Gewerkschaft für alle Statusgruppen an der Goethe-Universität haben wir daher am 13.03.2020 in einer Pressemitteilung Forderungen an das Präsidium der GU gestellt, welche Probleme es angesichts der Corona-Pandemie zu berücksichtigen gilt. Seitdem hat es einige Fortschritte in der Entlastung von Universitätsangehörigen gegeben. Doch längst nicht alle Forderungen hat das Präsidium aufgenommen – im Gegenteil, es erreichen uns immer neue Probleme von Beschäftigten und Studierenden der Goethe-Universität. Den aktuellen Stand unserer Forderungen wollen wir hier dokumentieren – in dem Wissen, dass sich die Situation ständig ändert. Eine jeweils aktualisierte Fassung findet sich unter www.unterbau.org/corona.

Stand: 30.03.2020

Folgende Forderungen gilt es zu erfüllen:

1. Drittmittelabhängige: Nicht alle Angehörigen der Universität können sich im Krankheits- oder Quarantänefall auf eine Lohnfortzahlung verlassen, was prinzipiell ein Skandal ist. Gerade Drittmittelabhängige, deren Projektförderungen davon abhängen, dass zu bestimmten Fristen Ergebnisse vorliegen müssen, stehen unter besonderem Druck.

→ unter_bau fordert daher, dass die Universität sich bei allen Geldgebern für eine entsprechende Verlängerung der Förderungen einsetzt und ggf. finanzielle Ausgleichszahlungen an betroffene Mitarbeiter_innen tätigt.

2. Honorarverträge: Unsicherheit besteht auch bei Honorarverträgen, etwa bei Lehraufträgen. Dazu gehören auch Lehrangebote von Privatdozierenden, die bei „Verletzung“ ihrer Lehrverpflichtung fürchten müssen, die venia legendi entzogen zu bekommen.

→ unter_bau fordert daher, dass Lehraufträge auf Honorarbasis in jedem Fall bezahlt werden, auch wenn die Lehre nicht oder nur eingeschränkt stattfinden sollte. Privatdozierenden sollte in diesem Fall die Möglichkeit gegeben werden, sich von der Titellehre entbinden zu lassen.

3. Befristungsmoratorium: Befristet Beschäftigte im wissenschaftlichen Mittelbau befürchten Verzögerungen im Forschungsablauf aufgrund der Einschränkung des Universitätsbetriebs. Sie fürchten dabei auch Konsequenzen für ihre Befristungshöchstdauer aufgrund des WissZeitVG.

→ unter_bau fordert daher ein Befristungmoratorium für die Zeit des eingeschränkten Universitätsbetriebs. Das bedeutet auch, dass diese Zeit nicht auf die Befristungsdauer nach WissZeitVG angerechnet werden darf.

4. eLearning: Sollte die Goethe-Universität von ihrem Lehrpersonal die Umstellung auf eLearning-Programme fordern, bedeutet dies einen erheblichen Mehraufwand in der Lehrvorbereitung. Lehrende wie Studierende wissen, dass die Qualität der Lehr- und Lernsituation unter einer verordneten Umstellung auf Online-Formate leiden kann.

→ unter_bau fordert, dass zusätzlich anfallende Arbeit durch Digitalisierungsmaßnahmen entsprechend entlohnt wird. Außerdem muss anerkannt werden, dass sich manche Lehrformate nicht auf Online-Lehre umstellen lassen.

5. Lohnfortzahlung bei extern Beschäftigten: Die Sorge vor Lohnausfällen besteht vor allem bei Personen, die nicht direkt an der Goethe-Universität beschäftigt, aber dennoch von ihren Entscheidungen betroffen sind: namentlich solche, die über externe Dienstleistungsfirmen bzw. weitere Subunternehmen an der Universität z.B. als Reinigungs- und Sicherheitskräfte arbeiten. Auch Beschäftigte von externen Catering-Unternehmen leiden unter der Absage von universitären Veranstaltungen.

→ unter_bau fordert daher, dass die Universität die Lohnfortzahlung dieser Menschen sicherstellt, indem sie die Unternehmen, mit denen sie Verträge abgeschlossen hat, darauf verpflichtet, die Lohnfortzahlung auch im Fall einer Weitergabe der Aufträge an Subunternehmen zu gewährleisten.

6. Minijobs: In einer Stadt wie Frankfurt sind die Lebenshaltungskosten enorm und die Mehrheit der Studierenden auf Nebenjobs angewiesen, die häufig keinerlei Sicherheiten bieten und in Zeiten der Krise einfach wegfallen.

→ unter_bau fordert daher, dass das Präsidium sich gegenüber den Entscheidungstragenden in Bund und Land für eine finanzielle Soforthilfe einsetzt.

7. Prüfungen: Studierende haben durch die Schließung der Universität aktuell keinen oder eingeschränkten Zugang zu Lernplätzen und -materialien. Die Aussetzung von Präsenzprüfungen und die Verlängerung von Abgabefristen waren daher notwendige Schritte, die jedoch Konsequenzen für den weiteren Studienverlauf und damit auch für die weitere Finanzierung des Studiums haben können.

→ unter_bau fordert daher, dass der Semesterbeitrag für Studierende, die ihr Studium regulär zum 31.03.20 abschließen würden, entfällt, dass auslaufende Prüfungsordnungen verlängert und die BAföG-Anforderungen angepasst werden. Sollte aufgrund von ausgefallenen oder verschobenen Prüfungen eine Verlängerung der Studienzeit wahrscheinlich sein, muss die Regelstudienzeit um ein Semester erhöht werden.

8. Medizin-Studium und Praktisches Jahr: Medizin-Studierende sowie Studierende im Praktischen Jahr (PJ) sind durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie in ihrem geplanten Studienverlauf besonders eingeschränkt und zusätzlich belastet.

→ unter_bau fordert daher, dass die M1-, M2- und M3-Prüfungen im Medizin-Studium, die durch die aktuelle Situation nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden können, ersatzlos gestrichen werden und als Äquivalent die vorherigen Leistungen anerkannt werden. Medizin-Studierende im PJ dürfen keinerlei Nachteile erfahren. Das betrifft insbesondere die Praxis, Krankheitstage als Urlaubstage anzurechnen. Medizin-Studierenden, deren Blockpraktika abgesagt werden, muss freigestellt werden, ob sie diese nachholen wollen oder nicht. Liegen diese Punkte nicht in den Kompetenzen der Goethe-Universität, ist das Präsidium in der Pflicht, sich gegenüber dem Hessischen Prüfungsamt (HLPUG) für die Belange der Medizin-Studierenden einzusetzen.

9. Ausländische Studierende: Viele ausländische Studierende sind doppelt von der Corona-Krise betroffen, wenn sie Angehörige in anderen, z.T. stärker betroffenen Ländern haben. Die Frage, ob das kommende Sommersemester voll anrechenbar sein wird, versetzt sie auch bezüglich ihres Aufenthaltsrechts in Sorge.

→ unter_bau fordert daher die besondere Unterstützung von ausländischen Studierenden durch multilinguale Informationen des Präsidiums und die Berücksichtigung von ausländerrechtlichen Konsequenzen bei Entscheidungen über die Gestaltung des kommenden Sommersemesters.

10. Kinderbetreuung: Hochschulangehörige und extern Beschäftigte mit Kindern sind durch die Schließung von Kitas und Schulen derzeit besonders belastet.

→ unter_bau fordert daher, dass Menschen mit Sorgeaufgaben ohne bürokratischen Aufwand von der Präsenzpflicht am Arbeits- bzw. Studienplatz befreit werden. Die Betreuung von Kindern aufgrund von Kita- und Schulschließungen darf nicht über unbezahlten oder regulären Urlaub geregelt werden. Auch muss anerkannt werden, dass von Mitarbeitenden, die während ihrer Arbeitszeit im Homeoffice gleichzeitig ihre Kinder betreuen, nicht das gleiche Arbeitspensum erwartet werden kann. Außerdem müssen insbesondere für die Kinderbetreuung von Ärztinnen und Ärzten am Universitätsklinikum Lösungen gefunden werden, damit diese weiterarbeiten können, wenn sie wollen.

11. Hygienemaßnahmen: Solange die Universität geöffnet hat – wenn auch nur im Notbetrieb – stellt sie einen Ort dar, an dem sich das Coronavirus weiter verbreiten kann.

→ unter_bau fordert daher verstärkte Hygienemaßnahmen. Die GU muss ihrer Schutzpflicht nachkommen, indem sie mit einem Sofortprogramm in allen sanitären Einrichtungen für Warmwasser, Desinfektionsmittel, Seife etc. sorgt.

Wie weiter?

Die größte Unsicherheit besteht jedoch darin, dass aktuell niemand absehen kann, welche Entscheidungen das Präsidium für das kommende Sommersemester treffen wird. Einige Hinweise geben uns die Reaktionen anderer Hochschulakteure, wie die der Hochschulrektorenkonferenz, die die „Aufrechterhaltung des Wissenschaftsbetriebs“ in den Fokus stellt und betont, dass das kommende Sommersemester „kein verschenktes Semester“ sein dürfe. Der Präsident der FU Berlin bringt das Label „Kreativsemester“ ins Spiel und fasst darunter die Fortsetzung des neoliberalen Umbaus von Hochschulen. Es ist anzunehmen, dass auch die GU die Chance nicht verpassen wird, nun die Turbo-Digitalisierung der Lehre und den weiteren Rückbau von demokratischen Prozessen und arbeitsrechtlichen Standards zu organisieren. Dagegen fordern Universitätsangehörige bundesweit im Rahmen eines offenen Briefs ein „Nichtsemester“, um dem breiten Problemhorizont, der sich auch in unseren Forderungen spiegelt, grundsätzlich zu begegnen.

Was feststeht: Alle Entscheidungen über die Gestaltung des kommenden Sommersemesters werden für die Universitätsangestellten, Studierenden und extern Beschäftigten schwerwiegende Konsequenzen haben. Und genau deren Interessen müssen in Diskussionen und Entscheidungen über die Zukunft der Universitäten im Fokus stehen. Es ist nichts Neues: Die Befristungspolitik in der Wissenschaft, das Outsourcing von universitätssystemrelevanten Arbeiten und die Verschulung des Studiums sind ein Desaster. Das zeigen all die Probleme und existenziellen Ängste, von denen viele Universitätsangehörige und extern Beschäftigte im Zuge der Corona-Krise nun umso mehr geplagt werden. Was das kommende Sommersemester werden sollte? Ein Semester, in dem Arbeitsrechte gestärkt werden, Zeit und Muße für gute Forschung gegeben sind, in dem gelernt, verstanden, gefragt, weitergedacht wird, in dem alle Sicherheit und Freiheit durch ernstgemeinte Solidarität erfahren. Dabei zeigt sich in dieser außergewöhnlichen Situation in besonderer Weise, was unter_bau jederzeit fordert: In jedem Staatsgebilde, in jedem Betrieb, jeder Universität, in allen Bereichen des Lebens sollten diejenigen die Entscheidungen treffen, die von ihnen betroffen sind.