Analyse und Strategie für die Goethe-Uni

Die bestehenden gewerkschaftlichen und politischen Ansätze an der Hochschule halten wir nicht für ausreichend, um die vielfältigen Probleme von Angestellten und Hochschulangehörigen umfassend und systematisch in Angriff zu nehmen. Mit welchen Inhalten, Zielen und Vorgehensweisen wir da Abhilfe schaffen wollen, um zu einer Stärkung der Selbstbestimmung an der Hochschule und ihrer radikalen Transformation beizutragen, schildert dieser Text hier. Dabei handelt es sich um ein zusammengefasstes Kapitel aus einem umfassenden Strategiepapier, das wir Interessierten gerne direkt in die Hand geben.

Grundlegend für unsere Strategie ist eine Analyse der Funktion der Hochschule in der Gesellschaft – was sie ist und was sie sein sollte. Damit wollen wir konsistente Ansätze in den Bereichen Arbeitskampf, Bildungsarbeit und Hochschulpolitik entwickeln. Unser Vorgehen an der Hochschule orientiert sich an den konkreten Verhältnisse der Goethe-Uni.

Zwei in Eins: Gewerkschaftsarbeit und Politik zusammenbringen

Die drängendsten Probleme an der Hochschule betreffen einerseits das Lohnniveau, andererseits die allgemeine Organisation der Hochschule. Nach wie vor sind Hilfskräfte nicht tariflich integriert und arbeitsrechtlich in einer Grauzone; wissenschaftliche Mitarbeiter_innen leiden unter der ständigen Befristungspraxis, die eine mittel- oder langfristige Lebensplanung unmöglich macht; immer mehr wichtige Infrastrukturaufgaben werden ausgelagert und damit weitere Spaltungen unter den Angestellten geschaffen; unter dem mangelnden Lehrangebot leiden nicht nur die Dozent_innen, die viel kompensieren müssen, sondern auch die Studierenden; diese wiederum können häufig nicht das Studium mit ihren prekären Arbeits- und Lebensbedingungen in Einklang bringen; geschlechtsspezifische Ausschlussmechanismen und Arbeitsteilung führen zu einer männlichen Vorherrschaft auf den oberen Hierarchieebenen und ungleicher Bezahlung. Zudem ist der Zugang zu akademischer Bildung beschränkt, was Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen ausschließt.

Um einen grundlegenden Einfluss auf die Organisation der Hochschule zu nehmen, ist es notwendig, sich hochschulpolitisch einzumischen und die Struktur der Hochschule insgesamt anzugehen. Ziel muss dabei sein, die Entscheidungsstrukturen an der Hochschule so zu verändern, dass alle Statusgruppen entsprechend ihrer realen Größe mitbestimmen und ihre Interessen geltend machen können. Transformation ist vor allem eine kontinuierliche Organisierung, die von Anfang an mehr als nur individuelle Verbesserungen zum Ziel hat. Sie muss eine partizipatorische Hochschule, etwa die Etablierung einer rätedemokratischen Struktur, zum Ziel erklären. Wir werden uns mit Gruppen in hochschulrelevanten Bereichen vernetzen um bei Arbeitskämpfen, der Hochschul- und Bildungspolitik und der Bildungsarbeit gemeinsam zu agieren.

Union Academy: Partizipatorische Bildungsarbeit für alle

Eine emanzipatorische Gewerkschaft hat für die Öffnung der Hochschule ebenso zu streiten wie für progressive Lehr- und Forschungsinhalte. Bildungsarbeit kann dabei sowohl ein Angebot nach außen hin darstellen, als auch interne Solidarität sowie Kompetenzen und Kenntnisse der Mitglieder fördern. Wir wollen unsere konkreten Arbeitsauseinandersetzungen mit den theoretischen Debatten vermitteln. Umso besser wir die Funktionsweisen der Hochschule und ihre Position in der Gesellschaft begreifen, desto besser erkennen wir Druckpunkte für Arbeitskämpfe, aber auch äußere Zwänge, die unsere Kämpfe vor Schwierigkeiten stellen.

Von den bekannten Formaten der Theoriebildung jenseits des Lehrbetriebs – wie Vorträge, Veranstaltungsreihen und Lesekreise studentisch-akademischer Gruppen – soll sich das Bildungsangebot der Gewerkschaft in dem Sinne unterscheiden, dass es bei den Alltagsproblemen der Mitglieder ansetzt. Bildungsarbeit soll nicht isoliert von den konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen betrachtet werden, sondern sie soll im Zusammenspiel von theoretischen Überlegungen und praktischen Interventionen entwickelt werden. Die Bildungsarbeit der Gewerkschaft muss auch Aneignung der Universität bedeuten, z.B. indem wir im Rahmen einer Alternativuni gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Debatten Raum geben.

Druckpunkte finden: Die Konfrontation mit den Verhältnissen

Der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen muss bedenken, dass die Goethe-Uni als Stiftungsuniversität Tarifautonomie besitzt und direkte Forderungen an sie gestellt werden können. Wichtige Druckpunkte stellen dabei vor allem die Strukturen dar, die von den externen Dienstleistern bewirtschaftet werden. Unser mittelfristiges Ziel ist die Organisierung dieser Beschäftigtengruppe, die aufgrund der räumlichen und sozialen Trennung von akademischem Personal und externen Beschäftigten eine Herausforderung darstellt. Bei den Hilfskräften sehen wir ein größeres Mobilisierungspotential in den Verwaltungsstrukturen, in denen etwa eine Viertel aller Hilfskräfte arbeiten. Die Anzahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen – derzeit knapp 2.000 – steigt langsam, aber kontinuierlich.  Dabei kommen auf 20 befristete Stellen lediglich eine unbefristete. Promovierende sind, sofern sie überhaupt eine Stelle haben, nicht immer für den gesamten Promotionszeitraum angestellt, so dass eine ständige Unsicherheit besteht. Da der Mittelbau große Teile von Lehre, Forschung und administrativen Aufgaben an den Lehrstühlen trägt, besteht hier trotz der hemmenden Unsicherheit ein großes Druckpotential, das es zu aktivieren gilt.

Die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse durch eine Befristungspolitik trifft auch die administrativ-technischen Mitarbeiter_innen (ATMs). Hier hat sich die Anzahl der unbefristet Beschäftigten in den letzten Jahren kaum verändert, die Zahl der befristet beschäftigten ATMs dagegen verdoppelt, vor allem durch drittmittelfinanzierte Stellen. Da diese mit ihren Aufgabenfeldern zentral zum reibungslosen Ablauf des Hochschulbetriebs beitragen und an wichtigen Schnittstellen zur Vernetzung verschiedener Teilbereiche sitzen, ist diese Gruppe für die gewerkschaftliche Arbeit unverzichtbar. Die Studierenden sind dagegen zum Großteil als Lernende an der Hochschule. Daher haben sie zwar – sofern sie nicht als Hilfskraft arbeiten – kein unmittelbares materielles Interesse an Arbeitskämpfen, doch wirkt sich die Qualität der Beschäftigungsverhältnisse, vor allem in der Lehre, direkt auf ihre Studienbedingungen aus. Vor allem eine Ausweitung von Mitbestimmung und kritischer Bildung, ja die Etablierung einer anderen Form von Hochschule, dürfte im Interesse dieser größten und zugleich unterrepräsentierten Statusgruppe sein.

Dem Präsidium als Arbeitgeber treten wir primär im Zuge von Arbeitskämpfen und mit Forderungen gegenüber. Die oft angebotenen Gespräche in Form von runden Tischen, AGs und ähnlichen Formaten lehnen wir grundsätzlich als Form der strategischen Einbindung ab. Diese dürfen sich nicht als informelle und undemokratische Parallelstrukturen zu den ohnehin begrenzten Mitbestimmungsmöglichkeiten etablieren.

Inside – Outside: Taktik und Strategie im Umgang mit den Gremien

Wie sich die Gewerkschaft zu den hochschulpolitischen Institutionen genau verhalten soll, ist zweifellos eine strategische Kernfrage. Einerseits sind sie wichtige Informationsquellen und in bestimmten Situationen notwendiger Interventionspunkt, andererseits auch zeitintensive Einbindungsapparate, die nur unzureichende Veränderungen hervorbringen. Zunächst sollte der Fokus auf der Basisarbeit und dem gewerkschaftlichen Kernbereich liegen. Ist die Gewerkschaft hier gut und breit aufgestellt, ist Gremienarbeit von den Bedürfnissen der Mitglieder in den jeweiligen Bereichen abhängig zu machen.  Von akuter Relevanz sind vor allem die Personalräte, um die Interessen unserer Mitglieder zu verteidigen. Der damit verbundene Kündigungsschutz kann ein wichtiges Moment sein, um offene Basisarbeit zu unterstützen. Als Werkzeug und Katalysator gewerkschaftlichen Handelns bedeutsam sind auch die Auskunftsrechte und Schulungsansprüche.

Für eine Transformationsstrategie lassen sich hochschulpolitische Gremien dagegen nur schwer nutzen. Die Gesetzeslage lässt es immerhin zu, die Strukturen bestimmter Selbstverwaltungsstrukturen – etwa der Fachschaften – basisdemokratisch zu gestalten. Personalräte sind dagegen gesetzlich in Stein gemeißelt und somit als transformatives Sprungbrett ungeeignet. Wir werden also im Laufe des Prozesses herausfinden, in welchen Institutionen sich Mitsprache ausweiten und Entscheidungen horizontalisieren lassen und zu welchen es regelrechter Gegenstrukturen bedarf, die an ihre Stelle treten, indem ihre Anerkennung in Arbeitskämpfen durchgesetzt wird. In der Regel wird wohl eine Kombination beider Ansätze nötig und sinnvoll sein.

Solidarisch nach innen, vernetzt nach außen: Die Bündnispolitik

Für die Umsetzung einer solch umfassenden Programmatik ist eine gute Vernetzung mit anderen Akteur_innen in- und außerhalb der Hochschule unerlässlich. Kooperationen mit anderen Initiativen und Gewerkschaften im Bildungsbereich – sowohl lokal als auch überregional – sind geboten, um hochschulpolitische Forderungen zu entwickeln, die sich in eine allgemeine Kritik der vorherrschenden Erziehungs- und Bildungsinstitutionen sowie eine progressive Bildungspolitik von unten einfügen. An der Goethe-Uni wollen wir eng mit der Hilfskraftinitiative wie auch der Promovierendeninitiative zusammenarbeiten und deren Forderungen unterstützen. Für die ebenfalls zentrale Bildungsarbeit wollen wir themenbezogen sowohl mit kritischen Initiativen als auch mit autonomen Gruppen kooperieren, um in Austausch zu treten und vorhandenes Wissen zur Weiterbildung zu nutzen. Da Hochschulpolitik und Arbeitsverhältnisse direkt zusammenhängen, wollen wir auf beiden Ebenen gemeinsam wirken. Hierfür ist auch eine Zusammenarbeit mit basisorientierten Fachschaften und anderen Gremienvertreter_innen sowie dem AStA angedacht. Mit Mitgliedern von anderen Gewerkschaften sind wir solidarisch und arbeiten vertrauensvoll zusammen. Wir unterstützen Arbeitskämpfe in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Mit unserer Bündnispolitik zielen wir nicht nur darauf, den Betrieb der Hochschule zu organisieren, sondern wollen Menschen längerfristig und über die Hochschulverhältnisse hinaus politisieren. Die Hochschule ist für viele eine Zwischenstation, sie arbeiten nach dem Studium, der Promotion oder dem Ende ihrer Anstellung in einem anderen Kontext. Daher muss die Gewerkschaft Verbindungen mit anderen Arbeitsbereichen pflegen, um Anknüpfungspunkte für und durch scheidende Hochschulangehörige zu schaffen. Gerade weil wir es an der Hochschule mir einer hohen Fluktuation ihrer Angehörigen zu tun haben, ist es wichtig, konkrete Probleme schnell aufzugreifen und zu lösen sowie eine feste Organisation herauszubilden, die unabhängig von individuellen Aktivist_innen fortwirkt. Ferner nimmt unser Projekt zwar an der Frankfurter Goethe-Uni seinen Anfang, kann sich aber zu einer Gewerkschaft für den gesamten Hochschul- oder Bildungsbereich in Frankfurt und der Region entwickeln.