Programm zur Gründung

Die Hochschule als Großbetrieb und Lebensraum ist schon ein gewaltiger Komplex für sich. Obendrein ist sie auch noch in breite gesellschaftliche Zusammenhänge eingeflochten, mit externen politischen und ökonomischen Zwängen. Ein Programm zur Veränderung der Hochschule muss dieser Komplexität gerecht werden und braucht entsprechend seine Zeit. Der vorliegende Text ist daher als vorläufiges Programm zu verstehen, das von einem umfassenden Grundsatzprogramm der Gewerkschaft abzulösen ist. Es zeigt zunächst an, in welche Richtung die Reise gehen soll.

Wir leben sicher nicht in der besten aller möglichen Welten; auch unsere Universität ist alles andere als perfekt. Die Beschäftigungsverhältnisse der Mensakräfte und des Sicherheitspersonals sind an externe Dienstleister ausgelagert, für die die Uni-Leitung sich nicht rechenschaftspflichtig sieht. Wissenschaftliche Mitarbeiter_innen müssen gegen ihr Denken denken, um an die Fleisch- und Tofutöpfe der Drittmittelprogramme zu gelangen. Mitarbeiter_innen der Verwaltung (“Administrativ-technische Mitarbeiter”, ATM) wiederum sind besonders mit einer stetig wachsenden Bürokratie konfrontiert, die “Qualität” gewährleisten soll und letztenendes vor allem der Legitimation ewigen öffentlichen Sparzwangs nützt.

Studentische Beschäftigte (Hilfskräfte und Tutor_innen, SHK) gelten der Universität als Sachmittel, sind von grundlegenden Arbeitsrechten und der Personalvertretung ausgeschlossen – genießen sie doch nach weitläufiger Meinung hochstehender Wissenschaftsfunktionäre und Arbeitgeber*innen die “Ehre”, der Hochschule zu dienen. Für Studierende schließlich wird die Universität immer mehr zu dem, was die Schule schon war: ein Ort, an dem sie – von Notendruck und Praktika gehetzt – Vereinzelung einüben, um auf die Konkurrenz am Arbeitsmarkt vorbereitet zu sein.

In der unternehmerischen Hochschule ist Wissen weitgehend auf seinen ökonomischen Wert reduziert. Darüber hinaus erfüllt es die ideologische Funktion, Ausgrenzung, Einkommenshierarchien und Herrschaftsverhältnisse zu legitimieren. Das Studium setzt die Erziehung zur Unmündigkeit und die Verinnerlichung von Leistungszwang fort, um diejenigen Fachkräfte auszubilden, die der Arbeitsmarkt fordert. All das liegt daran, dass die Universität ein Teil der gegenwärtigen Gesellschaft ist.

Wenn die meisten Menschen auf zunehmend prekäre Weise ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, ist unsere Antwort: gewerkschaftliche Organisierung. Die Löhne der Studentischen Beschäftigten sollen von einem verbindlichen Tarifvertrag geregelt sein und nicht von der Güte des Präsidiums abhängen. Studentische Hilfskräfte streiken bereits gegen schlechte Bezahlung und zu kurze Beschäftigungszeiten. Auch von externen Firmen Beschäftigte, die auf den Campus arbeiten, haben allen Grund, gegen ihre prekären Arbeitsverhältnisse zu kämpfen, müssen gleichzeitig aber befürchten, durch Widerspruch ihre Anstellung zu gefährden — genauso wie alle befristet Beschäftigten, sei es über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz oder Teilzeit- und Befristungsgesetz. Sie finden sich en masse in allen Statusgruppen der Hochschule.

Deshalb schließen wir uns statusgruppenübergreifend zusammen. Wir schaffen eine politische Struktur, um sowohl unsere materiellen Grundlagen zu verbessern als auch selbstbestimmtes Lernen, Lehren, Forschen und Arbeiten solidarisch zu gestalten. Wir setzen an konkreten Problemen an, verbinden Kämpfe untereinander und erweitern sie durch den Blick auf das große Ganze. Wir zeigen Möglichkeiten emanzipatorischer Entwicklungen auf und erkämpfen sie.

Unsere Ziele

Zur Erreichung unserer Ziele setzen wir auf die Ausweitung der Handlungsspielräume – bei gleichzeitiger Organisierung und praktischer Bewusstseinsbildung einer sich so formierenden Gegenmacht. Durch diesen Ansatz unterscheiden wir uns von etablierten Gewerkschaften, die über dröge Tarifrituale bisher nicht hinauskommen, genauso wie von zersplitterten Politikgruppen. Wir greifen ein – in Auseinandersetzungen, Arbeits- und studentische Kämpfe, an der Universität und darüber hinaus. Und das wie folgt:

Andere Arbeitsverhältnisse schaffen

Wir sehen es so: Alle an der Hochschule Arbeitenden sind Mitglieder der Hochschule und sollen auch als solche behandelt werden. Daher wollen wir die Übernahme der an externe Dienstleister ausgelagerten Beschäftigten in regulären Arbeitsverhältnisse an der Hochschule erreichen.

Wir fordern mehr unbefristete Stellen. Insbesondere im Mittelbau braucht es unbefristete Arbeitsverhältnisse, um eine selbstbestimmte Lebensplanung zu ermöglichen. Auch streiten wir für die tarifliche Verbesserung und Absicherung aller Arbeitsverhältnisse an der Hochschule. Neben den outgesourcten und den regulär Beschäftigten aus Technik und Verwaltung sowie den akademischen Mitarbeiter_innen betrifft dies auch die Hilfskräfte und Lehrbeauftragte.

Das Arbeiten an der Hochschule muss besser entlohnt werden. Aber auch andere Rahmenbedingungen, zum Beispiel die häufig einseitig erwartete Flexibilität der Arbeitnehmer_innen, wollen wir verändern. Teilzeitarbeit sollte zwar möglich sein, darf aber nicht erzwungen werden. Arbeitsverhältnisse, etwa von Promovierenden, müssen so ausgestaltet und finanziert sein, dass ausreichend Zeit für die Qualifikationsarbeit bleibt. Grundsätzlich sollen daher für derartige Qualifikationsstellen reguläre Arbeitsverhältnisse in Form von Vollzeitstellen zur Regel werden.

Einfacher Zugang zum Studium

Ein gutes Studium gerade auch für weniger privilegierte Menschen zu ermöglichen, ist uns ein wichtiges Ziel. Um Angehörigen aller gesellschaftlichen Schichten den Hochschulzugang zu erleichtern, setzen wir uns für den Abbau formeller und informeller Zugangshürden ein. Flexibles Teilzeitstudium, geringere Prüfungslasten und verbesserte Härtefallausgleiche sind hier zentrale Anknüpfungspunkte.

Statt Elitenförderung halten wir eine breite und bedarfsorientierte Finanzierung des Bildungs- und Wissenschaftssystems für geboten. Von der Hochschule ausgehend wollen wir Impulse auch in die Landes- und Bundespolitik aussenden und als Schrittmacher einer sozialen Transformation der Hochschullandschaft fungieren.

Wirkliche Freiheit von Lehre und Forschung

Die unternehmerische Hochschule ist in ihrer Selbstwahrnehmung und Wirklichkeit zu einer Marke geworden. Im Kampf um Standortvorteile sind PR-Strategien und Selbstvermarktung zum höchsten Wert mutiert. Alle Uni-Angehörigen werden dazu angehalten, sich ebenso zu inszenieren und selbst zu vermarkten.

Die Ökonomisierung der Hochschule wird auf zahlreichen Ebenen politisch forciert. Oftmals sind es öffentliche Gelder, die zunehmend nach einer Wettbewerbslogik vergeben werden; die Universitätsleitung führt ihre eigenen Wettbewerbe ein und fördert damit diese Entwicklung. Statt in Lehre und Forschung fließen Geld und Zeit in das Konzipieren und Verkaufen von Anträgen. Sie sagen Autonomie – und meinen damit die Diktatur des Managements.

Stattdessen fordern wir eine ausreichende Grundfinanzierung aller Fächer, die weder themen- noch leistungsgebunden ist. Geld, Zeit und Raum sind für gute Lehre und Forschung essentiell. Momentan findet Lehre frontal und in überfüllten Hörsälen statt; es bleibt wenig Zeit und Raum für kritische Reflexion. Im Studium und der akademischen Auseinandersetzung muss das Ziel lebendiges Verstehen und Diskutieren anstelle von Auswendiglernen und Hörigkeit sein. Kontroversen mit Studierenden beleben nicht zuletzt den Forschungsprozess.

Die zunehmende Abhängigkeit der Forschung von Drittmitteln führt zu dem Zwang, die eigenen Projekte und Anträge permanent als Erfolg verkaufen zu müssen. Das untergräbt die Möglichkeit, Risiken einzugehen, gegen den Strom zu schwimmen oder auch Fehler einzugestehen und aus ihnen zu lernen – wichtige Voraussetzungen für wissenschaftliche Erkenntnis!

Deswegen wollen wir nicht nur Adorno-Reliquien auf dem Campus, sondern herrschafts- und gesellschaftskritische Inhalte in allen Lehrplänen. Ein Zentrum für Kritische Theorie könnte hier ein Anfang sein.

Solidarisches Miteinander und neue Strukturen

Wir wollen über die Verbesserung individueller Lohnverhältnisse und dem bloßen Stellen von Forderungen hinausgehen. Indem wir gewerkschaftliche, hochschulpolitische und gesellschaftliche Kämpfe an der Uni zusammenführen, können wir gemeinsam mehr erreichen. Hierfür bietet unsere Struktur verschiedene Plattformen und inhaltliche Veranstaltungen.

Damit ermöglichen wir, was im universitären Normalbetrieb selten passiert: eine gemeinsame Analyse und Reflexion der eigenen Arbeitsbedingungen und der gesellschaftlichen Verhältnisse, außerhalb der institutionellen Zwänge und eine gemeinsame, nicht von Konkurrenz geprägte Praxis.

Konkret heißt das, Kontakte zwischen den Kolleg_innen herzustellen, innerhalb eines Instituts und einer Statusgruppe, aber eben auch fachbereichs- und statusgruppenübergreifend. Etwas scheinbar so simples wie ein regelmäßiges Kolleg_innen-Treffen ohne Vorgesetzte setzt der Vereinzelung und Resignation viel entgegen, gerade in einem Umfeld wie der Universität mit ihrer feudalen Herrschaftsstruktur und hohen Fluktuation an oft unerfahrenen Arbeitnehmer_innen.

Ausweitung der Kämpfe auf die Gesamtgesellschaft

Die vielfältigen gesellschaftlichen Krisen werden derzeit genutzt, um historisch hart erkämpfte soziale, ökonomische und politische Errungenschaften einzukassieren; nicht nur das Streik- und Arbeitsrecht sondern auch soziale Rechte, Asyl- und Datenschutzrechte sind davon betroffenen. Diese Errungenschaften können nur durch Kämpfe verteidigt werden, die in ihrem Anspruch über den bloßen Erhalt dieser Errungenschaften hinausweisen. Auch der Wohlfahrtsstaat wurde nur vor dem Horizont viel weitreichenderer Ziele als kleineres Übel zugebilligt.

Deswegen setzen wir uns allem voran für ein individuelles Streikrecht für alle direkt und indirekt lohnabhängigen Menschen ein. Mit einer Ausweitung und Verteidigung dieser Grundrechte können anti-emanzipatorische Strömungen effektiv bekämpft werden. Eine emanzipatorische Praxis kann sich aber nicht auf Widerstand beschränken.

Deswegen geht es in unseren Kämpfen auch darum, Ansatzpunkte einer anderen Gesellschaft zu schaffen: Der unter_bau soll Keimzelle rätedemokratischer Strukturen sein, die in der Schale der alten Verhältnisse heranreifen, und danach streben, sich von diesem engen Gehäuse zu befreien, um darüber hinauszuwachsen zu können.

Frankfurt am Main im April 2016
aktualisiert im November 2023

Anhang: Geschlechterpolitik

Gleichstellungsprojekte gibt es an der Goethe-Universität offiziell bereits sehr viele. Doch die Diskriminierung hält an: Gerade einmal 22,9 Prozent der Professor_innenschaft ist weiblich, obwohl über die Hälfte der Absolvierenden Frauen sind; Kommilitoninnen berichten, dass sie sich in Seminaren nicht trauen, sich zu Wort zu melden; Dozentinnen klagen, sie können keinen Kitaplatz für ihre Kinder finden. Queere Rechte müssen auch an der Uni hart erkämpft werden. All das will unter_bau verändern, indem er für eine emanzipatorische Bildungsarbeit eintritt.

Dafür ist die Beibehaltung der Gleichstellungsräte, der Frauen- und FLINTA**-Räume und aller anderen Errungenschaften aus bisherigen Kämpfen essentiell, die genau dafür Raum bieten. Wir wollen die Ausfinanzierung feministischer Lehre, wie etwa durch das Cornelia-Goethe-Centrum und Autonome Tutorien, durch fest zugesicherte Uni-Gelder. Wir verlangen eine Modernisierung des an der Universität vermittelten Frauenbilds vor allem durch Meinungsmacher_innen im Präsidium und unter Professor_innen.

Aufgrund der im Kapitalismus notwendigen vergeschlechtlichen Arbeitsteilung in Produktion und Reproduktion, ist uns bewusst, dass eine langfristige Befreiung aus den dichotomen Geschlechterrollen nur möglich ist, wenn dieses Wirtschaftssystem überwunden wird. Wir verweigern uns einem neoliberalen Emanzipationsbegriff, der auf Karriere reduziert ist und die weiterhin von Frauen geleistete Pflegearbeit und somit entstandene Doppelbelastung verschleiert. Kurzfristig fordern wir deshalb – sowohl von Individuen als auch von der Universitätsleitung – ganz praktisches, bedürfnisorientiertes Verhalten. Das kann von mehr Kita- und Parkplätzen für Studierende mit Kind bis zum Aufstehen gegen sexistische Pick-up-Artists und Dozenten reichen.

Was den unter_bau selbst betrifft, gibt es ein fest institutionalisiertes Frauenplenum (seit 2022 FLINTA**-Plenum) und Quoten als ein “Empowerment”-Instrument, das sich langfristig selbst überflüssig machen soll. Frauen bzw. FLINTA können außerdem jederzeit quotierte Redelisten beantragen, ihre Kinder mitbringen (Männer auch), um ein vertrauliches Gespräch bitten oder zur Beratung der Frauen und Queers die Vollversammlung unterbrechen. Uns ist bewusst, dass es in unvollkommenen Verhältnissen keine vollkommenen Menschen geben kann. Trotzdem versuchen wir schon in der eigenen Gruppe mit gutem Beispiel und innovativen Lösungen voranzuschreiten.

Frauenplenum im unter_bau, September 2016
aktualisiert im November 2023

Eine längere Version dieses Anhangs, der als Grundlage für entsprechende Positionen im gewerkschaftlichen Grundsatzprogramm dienen soll, findet sich hier.

 

** FLINTA ist ein Akronym für Frauen, Lesben, Inter-, Non-Binäre-, Trans-, Agender-Personen. Das Akronym soll Solidarität zwischen den Personengruppen ausdrücken, die im Patriarchat aufgrund ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert werden. Im unter_bau wurde vormals das Begriffskonstrukt Frauen* verwendet.