Gewerkschaft jenseits der Sozialpartnerschaft

Gewerkschaften haftet häufig der Charme von Trachtenvereinen an. Das muss nicht sein. Es gibt ein Universum gewerkschaftlicher Möglichkeiten, das es (wieder) zu entdecken gilt. Wir haben dabei eine Gewerkschaft im Sinn, deren Kompetenz nicht bei Tarifpolitik endet, sondern dort erst beginnt: eine basisdemokratische Gewerkschaft mit langfristiger Perspektive und breitem politischen Programm. Dieser Text stellt das grundlegende Konzept von unter_bau vor. Dabei handelt es sich um ein zusammengefasstes Kapitel aus einem umfassenden Strategiepapier, das wir Interessierten gerne direkt in die Hand geben.

Die Tatsache, dass wir 2016 eine neue, unabhängige Gewerkschaft an der Goethe-Universität Frankfurt gegründet haben, stößt oft auf Verwunderung oder gar Widerstand. Auf dieser Seite begründen wir daher, warum wir ein solches Projekt für politisch sinnvoll halten und wie wir damit zur Aktivierung von Potentialen und nicht zu einer Spaltung beitragen wollen. Dazu legen wir die wichtigsten Argumente für eine basisdemokratische und statusgruppen-übergreifende Hochschulgewerkschaft dar – und wie diese zur Transformation der Hochschule beitragen kann.

Die Basis gibt den Ton an: Warum eine unabhängige Gewerkschaft?

Eine Gewerkschaft kann vielfältige Formen annehmen, sei es in puncto Struktur und Funktionsweise, sei es in Fragen der Strategie und Programmatik. Allein ein Blick auf die großen Verbände in anderen EU-Ländern zeigt, dass deren Basis häufig viel mehr Autonomie genießt, als wir es vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) kennen, und dass sie sich – über die einfache Lohnpolitik hinaus – politisch in die Gestaltung der sozialen Umwelt einmischen. Fragen der Entscheidungsfindung, der politischen Positionierung und der gesellschaftlichen Rolle einer Gewerkschaft dürfen nicht unter den Tisch fallen. Der Mitgliederschwund der Gewerkschaften in den vergangenen Jahrzehnten verweist auch auf eine Enttäuschung vieler Lohnabhängiger über die Möglichkeiten der Mitbestimmung und die korporatistische Politik der DGB-Verbände in sogennanten Sozialpartnerschaften. Alternative Ansätze und Programme könnten daher dazu beitragen, viele Menschen (wieder) gewerkschaftlich zu aktivieren.

Einheitsgewerkschaften, wie sie in Deutschland vorherrschend sind, nivellieren dagegen alternative Positionen: Minderheiten mit neuen Ansätzen müssen sich innerhalb der Einheitsorganisation ständig der vorherrschenden Linie beugen und können kaum Gewerkschaftspolitik praktizieren, die etwas verändern könnte. Sich als Minderheitengewerkschaft zu konstituieren ermöglicht es uns, diese verborgenen Kräfte sichtbar zu machen, eigenständig zu handeln, Impulse zu setzen und Dynamiken zu schaffen, die letztlich auch die etablierten Gewerkschaften befruchten können.

Minderheitengewerkschaft auf Zack: Die Verhältnisse aufwühlen

Uns schwebt eine unabhängige Gewerkschaft für die Frankfurter Hochschulen vor, die föderalistisch und basisdemokratisch organisiert ist. Durch die Organisierung in Form von Instituts-, Fachschafts- und Verwaltungsgruppen soll Raum für aktivistische Potentiale geschaffen werden, um am Puls der konkreten Probleme im Hochschulalltag zu agieren. Die Etablierung einer solchen Alternativgewerkschaft an der Uni Frankfurt stellt eine große Herausforderung dar. Insbesondere in die Position zu kommen, eine der zentralen Kompetenzen von Gewerkschaften wahrnehmen zu können – Tarifverhandlungen zu führen –, ist nicht einfach.

Als Minderheitengewerkschaft einen Vertretungsanspruch für die gesamte Hochschule geltend zu machen, ist vermessen, und einzelne Bereiche der Universität tariflich zu separieren, nicht vertretbar. Deshalb verstehen wir uns tarifpolitisch zunächst als Schrittmacher: Wir stellen Forderungen und bauen Druck auf, damit sie Eingang in die etablierte Tarifpolitik finden. Mittelfristig wollen wir tarifpolitisch koalieren, ohne eigene Standards aufzugeben, und langfristig selbst Tarifpolitik gestalten.

Innovation durch Inklusion: Solidarische Gewerkschaft auf breiter Basis

Wir setzen auf kontinuierliche Basisarbeit und schrittweise Erfolge, wobei wir Probleme angehen, die bisher gewerkschaftlich vernachlässigt wurden. So erkennen wir neben dem Bildungs- auch den Ausbildungscharakter des Studiums an und integrieren damit die größte Masse der Universitätsmitglieder, die Studierenden, in unsere Programmatik. Gleichzeitig wollen wir die Spaltung zwischen akademischem und nichtakademischem Personal überwinden und ein solidarisches Miteinander etablieren. Forderungen nach Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingungen einer Statusgruppe dürfen nicht auf Kosten einer anderen gehen. Wir organisieren uns statusgruppenübergreifend, damit alle Gruppen von den Stärken der Anderen profitieren können: Die quantitative politische Stärke studentischer Aktivist_innen verbinden wir mit den qualitativen ökonomisch-strukturellen Möglichkeiten von Mitarbeiter_innen zu einer machtvollen Synthese.

Ansatzpunkte dafür sind die Integration der Studentischen Beschäftigten (Hilfskräfte und Tutor*innen) in das Tarifwerk, das konsequente Eintreten für Entfristungen im Mittelbau sowie das Insourcing von bisher ausgelagerten Infrastruktureinheiten. Auch die Anerkennung der Promovierenden als Statusgruppe mit Mitbestimmungsrechten wollen wir vorantreiben. Für Angestellte im Infrastrukturbereich wiederum ist nicht nur erstrebenswert, in die Mitbestimmungsstrukturen integriert zu werden, sondern ihnen auch akademische Weiterbildungsbildungsmöglichkeiten zugänglich zu machen. Übergreifend ist uns die Beseitigung der männlichen Vorherrschaft im Mittelbau und der Professor_innenschaft sowie die Aufhebung der Geschlechterhierarchien in allen Bereichen ein wichtiges Anliegen.

Keimzelle neuer Verhältnisse: Die Idee der Transformationsorganisation

Neben der Verbesserung der materiellen Bedingungen gibt es für uns einen zweiten Eckpfeiler: die politische Perspektive. Unsere Gewerkschaft soll nicht nur Interessen-, sondern auch Transformationsorganisation sein. Durch die Zusammenführung und Ausweitung von Kämpfen wollen wir Fahrt aufnehmen, um eine grundlegende Neuordnung der Hochschule herbeizuführen. Das Ziel ist eine soziale Hochschule in basisdemokratischer Selbstverwaltung: Ihre Angehörigen sollen gleichberechtigt entscheiden und ihr Profil nicht von wirtschaftlichen Interessen bestimmt sein. Dazu brauchen wir eine Gewerkschaftspolitik, die Tageskampf und grundlegende Veränderung stets zusammen denkt. Eine gewerkschaftliche Transformationsorganisation geht über die Teilhabe an den klassischen Mitbestimmungsstrukturen hinaus, indem sie alternative Strukturen aufbaut, welche die bestehenden ablösen können.

Die Hochschule bietet zwar durch repräsentativ-demokratische Selbstverwaltungsstrukturen teilweise ein höheres Maß an Mitbestimmung als andere Betriebe. Im Wesentlichen basiert die Hochschule aber auf einem Stände-, bzw. Feudalsystem. Zum Ausdruck kommt dies in der ungebrochenen professoralen Mehrheit in allen Gremien, der Mehrfachabhängigkeit der wissenschaftlichen Mitarbeitenden und Studentischen Beschäftigten (aka dein*e Vorgesetzte*r ist auch dein*e Prüfer*in) und darin, dass zentrale Entscheidungen dem Präsidium und den Direktorien vorbehalten bleiben. Auf diese Weise wird die große Masse der Hochschulangehörigen – der sogenannte Mittelbau, die Hilfskräfte, die administrativ-technischen und weiteren Angestellten, die Studierenden – mehr oder weniger machtlos gehalten. Dem wollen wir eine Gegenmacht an der Hochschule entgegensetzen, die organisatorisch verstetigt wird und einen organisierten Transformationsprozess beschreitet. Das heißt, neue Bildungspraktiken, Arbeitsbeziehungen und Entscheidungsstrukturen zu etablieren, die an die Stelle der alten treten.