Baut auf, was Euch aufbaut!

Baut auf, was Euch aufbaut!

Rede von Angela für unter_bau am 17.01.23 zur Kundgebung gegen angekündigte Sparmaßnahmen und Gebäudeschließungen durch das Präsidium. Im Dezember 2022 kündigte das Präsidium der Goethe-Uni aufgrund gestiegener Energiepreise und Budgetdruck durch das Land Haushaltssperren und Gebäudeschließungen an. Nach Protesten durch Studierendenschaft, Belegschaft und auch unter_bau, nahm das Präsidium die Gebäudeschließungen abseits einer Weihnachtspause wieder zurück. Die Budgetkürzung von 6 Prozent pro Fachbereich blieb. Der AStA der Goethe-Uni organisierte daraufhin eine Kundgebung mit Hochschulgruppen und Gewerkschaften; am 25.01. wird auch eine Vollversammlung der Studierendenschaft stattfinden. Auch an anderen Hochschulen in Hessen gab es Proteste. Die Frankfurter Rundschau berichtete. Die Rede von unter_bau findet ihr hier:

Hallo, ich bin Angela. Ich bin Masterstudentin und arbeite als Hilfskraft am Fachbereich 04 und ich spreche hier heute für die Hochschulgewerkschaft unter_bau.

Denn jetzt, wo das Präsidium der Goethe-Uni Budgetkürzungen ankündigt, werden wieder die Rufe laut: Die Budgetkürzungen müssen gestoppt werden, Arbeitsstellen und die Qualität der Lehre gesichert werden und so weiter. All diese Forderungen haben natürlich ihre Berechtigung: Wir dürfen nicht hinnehmen, dass das Präsidium der Uni – namentlich Präsident Enrico Schleiff, Hallo Herr Schleiff – dass das Präsidium über eine Budgetsperre die Fachbereiche unter Druck setzt und damit die politische Verantwortung auf diese abschiebt. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass wegen der Budgetkürzungen auslaufende Arbeitsverträge nicht verlängert werden und eigentlich vorgesehene und notwendige Stellen nicht neu besetzt werden können. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass das Lehrangebot dadurch noch knapper wird und die Kurse noch voller werden. Und natürlich dürfen wir nicht hinnehmen, dass Studierende und Mitarbeitende neben den gestiegenen Lebenshaltungskosten und enormen Leistungsdruck erneut Gebäudeschließungen erleiden – ganz nach dem Motto: kein warmer Ort zu Hause, kein warmer Ort an der Uni.

Wir vom unterbau sagen: All diese Protestrufe, die jetzt aufkommen, sind berechtigt – aber sie sind bei Weitem nicht neu. Wir vergessen nicht, dass schon der Jetzt-Zustand an der Goethe-Universität untragbar für Mitarbeiter*innen und Studierende ist. Hier werden nicht nur wegen der aktuellen Inflation und der gestiegenen Energiepreise Gelder eingespart. Die Lage ist stattdessen die, dass seit mindestens 20 Jahren die Situation der Beschäftigten und Studierenden systematisch, Stück für Stück, verschlechtert wird – und das bundesweit, hessenweit, hier in Frankfurt, hier an der Goethe-Uni.

Wie sieht das konkret an der Goethe aus? Im Mittelbau haben über 80% der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen befristete Verträge. Sie sind damit ständiger Unsicherheit über ihre Weiterbeschäftigung und damit ihrer Lebensgrundlage ausgesetzt. Gleichzeitig müssen sie permanent Mehrarbeit leisten, um die notwendige Forschung, das Einwerben von Drittmitteln, die endlose Bürokratie zur sogenannten „Qualitätssicherung“ und die Lehre unter einen Hut zu bringen. Für die meisten ein Ding der Unmöglichkeit – insbesondere für alle Mitarbeitenden mit Kindern und anderen Fürsorge-Pflichten. Was bleibt ist das ständige Gefühl, nichts und niemandem gerecht zu werden und die Angst, die nächste Anstellung zu verpassen, weil nicht genug publiziert, nicht genug Konferenzen besucht worden sind. Weil es einfach zu viel ist, weil die Beschäftigten der Goethe-Uni quasi durchgängig über dem Limit eines üblichen Arbeitstages arbeiten.

Und das ist nur die Spitze des Ganzen. Wenn wir über schlechte Arbeitsbedingungen an der Uni reden, dann müssen wir auch über die studentischen Hilfskräfte sprechen, die immer noch keinen Tarifvertrag haben. Über 2.000 Hiwis wie ich arbeiten an der Goethe-Uni zu einem miesen Lohn, werden zu unbezahlten Überstunden gedrängt, leisten Mehrarbeiten, die nicht im Vertrag vorgesehen sind. Oft können sie keinen Urlaub nehmen und erhalten keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, obwohl sie ein gesetzlich fixiertes Recht darauf haben – über das sie aber systematisch nicht aufgeklärt werden. Jedes Semester sind wir HiWis davon abhängig, ob unsere Vorgesetzten den Arbeitsvertrag verlängern oder wir ohne Einkommen dastehen. Verträge, die nie länger als 6 Monate gehen und häufig erst Wochen nach Semesterbeginn genehmigt werden, denn die Verwaltung ist ja heillos überlastet. Und als wäre das noch nicht genug, sind Hilfskräfte nicht nur vom Tarifvertrag der Goethe-Uni ausgeschlossen, sondern auch vom Personalrat. Das heißt, das elementare Recht, eigene Vertreter*innen zu wählen, die in Konflikten mit den Vorgesetzten ansprechbar sind und sich für die Beschäftigten einsetzen, das wird HiWis schlicht nicht gewährt. Selbst ein Mindestmaß an demokratischer Mitbestimmung für über 2.000 Beschäftigte scheint dem Präsidium zu viel zu sein.

Warum sind die Arbeitsbedingungen an einer der größten Unis Deutschlands so schlecht? Es heißt oft, eine Hiwi-Stelle sei kein normales Arbeitsverhältnis, oder ein weiterer Tarifvertrag würde die Universitätskassen sprengen, oder mehr entfristete Dauerstellen im Mittelbau würde Nachwuchswissenschaftler*innen blockieren. Wir sagen: Herr Schleiff, das sind feige Ausreden. Warum sollte ein Hiwi-Vertrag kein normales Arbeitsverhältnis sein? Warum sollten wir als Hilfskräfte nicht die gleichen Rechte haben wie alle anderen Beschäftigten? Und warum kann die Universität jede Menge Geld für Hochglanzprojekte des Präsidenten und für überflüssiges Qualitäts-Management ausgeben, aber nicht für angemessene Bezahlung und mehr Wissenschaftsstellen?

Die Antwort ist einfach: Weil das Präsidium der Goethe-Uni möglichst wenig Mitbestimmung aus der Belegschaft und der Studierendenschaft will. Das Präsidium möchte stattdessen lieber Millionen für Bürokratie ausgeben und dann in teuren Marketing-Kampagnen als Qualitätssicherung verkaufen. Dabei ist völlig klar: die Qualität, die angeblich gesichert wird, existiert so nicht. Niemand hat wirklich Zeit, sich um Qualität in Lehre und Forschung zu kümmern, so mies wie die Qualität der Arbeitsbedingungen ist. Von hochqualitativer Lehre kann heute auf jeden Fall keine Rede mehr sein: das erleben die über 40.000 Studierenden Tag für Tag, wenn sie in überfüllten Seminaren und Vorlesungen sitzen. Oder wenn die Lehrenden keine Zeit haben, um ihre Seminararbeiten und Abschlussarbeiten angemessen zu betreuen. Und je kleiner der Fachbereich, je kleiner das Institut, desto schlechter werden Arbeits- und Studienbedingungen.

Herr Schleiff, falls Sie noch zuhören: All diese Scheiße ist keine Notwendigkeit. Es ist die politische Entscheidung des Präsidiums. Es ist die Entscheidung, von oben nach unten zu treten, die Entscheidung, Probleme und Schwierigkeiten an die Schwächeren weiterzureichen und sich hinter Sachzwängen zu verstecken anstatt für faire, solidarische Lösungen zu kämpfen. Gerechte und soziale Alternativen gibt es genug – was aktuell fehlt, ist die Stärke, sie durchzusetzen.

Deshalb stehen wir heute hier. Es liegt an uns im Hier und Jetzt auf diese Politik des Präsidiums, die Politik von Präsident Enrico Schleiff und Kanzler Albrecht Fester, zu antworten. Wenn wir uns besser organisieren, wenn wir mehr werden, wenn wir bereit sind, für unsere Ziele zu kämpfen und zu streiken, dann können wir der Abwärts-Entwicklung der letzten Jahrzehnte etwas entgegensetzen.

Dafür reicht es nicht, in blinden Aktionismus zu verfallen und ein, zwei Kundgebungen zu organisieren oder ein paar Zeitungsartikel zu veröffentlichen. Nein, wir müssen stärkere und kämpferische Gewerkschafts-Strukturen aufbauen und unterstützen, wir müssen langfristig und gezielt arbeiten. Es erscheint vielleicht klein, aber es kann nur so funktionieren: Sprecht mit euren Kolleg*innen, euren Kommiliton*innen, euren Freund*innen über eure Arbeits- und Studienbedingungen und schließt euch zusammen. Mit einer starken Basis können wir durchsetzen, dass es Entfristungen und Planungssicherheit im Mittelbau gibt. Wir können mit einem Tarifvertrag TVStud demokratische Mitbestimmung und längere Vertragslaufzeiten für Hiwis erreichen. Wir können erreichen, dass es mehr Kursangebote und weniger Leistungsdruck für Studierende gibt. In diesem Sinne: Lasst und aufbauen, was uns aufbaut!