Klimaschützen ist kein Verbrechen – Menschen in Versammlungsstätten gefährden am Ende schon

Unter_bau verurteilt den verantwortungslosen Umgang des Präsidiums mit unseren Kolleg*innen und Mitstudierenden im Rahmen der Besetzung des Hörsaal 1 am 06.12.2022 durch „End Fossil: Occupy Frankfurt“ aufs Schärfste. Auch verurteilen wir die seither gefahrene Verzögerungstaktik hinsichtlich der Bereitschaft einer öffentlichen Aufarbeitung der Räumung seitens des Präsidiums, die die Studierendenschaft bei der studentischen Vollversammlung am 25.01.2023 noch bis zum 10.02.2023 forderte!

Wir sind der Ansicht, dass die Goethe-Universität in Sachen Klimagerechtigkeit eine Vorbildfunktion inne haben sollte und ihrer gesellschaftlichen Pflichten bei weitem nicht nach kommt:

– Statt wie das Gros der internationalen Universitäts- und Schulleitungen diesen Moment der öffentlichen Unterbrechung des alltäglichen “Weiter so” der Uni, in dem die Mühlen der Verwaltung langsam und mühselig mahlen, zu nutzen und gemeinsam mit Studierenden, Mitarbeitenden und Interessierten über Klimagerechtigkeit und z.B. einen Fahrplan für eine klimaneutrale Goethe-Universität bis 2030 zu diskutieren

– Statt sich ihrer klimapolitischen Verantwortung zu stellen und im Rahmen von bundesweiten Dachforderungen (2) und breit aufgestellten lokalen Forderungen (3) das institutionell verankerte Nachhaltigkeitsverständnis aktiv auf den Prüfstand zu stellen, und die institutionelle Dimension von Nachhaltigkeit ernst zu nehmen, entschied sich das Präsidium und Kanzler Albrecht Fester lieber für die polizeiliche Räumung des Hörsaals. Im kalten Herzen der Uni, eben diesem Hörsaalzentrum, scheint es, als gäbe es keinen Platz für die brennendsten Fragen unserer Zeit. So verwundert es nicht, dass sich der Kanzler nicht mal die Mühe machte, sich der lokalen Forderungen kundig zu machen und seine ganze Energie lieber in die verfehlte Diskussion der Raumfrage steckte. Wie angesichts der Dringlichkeit eines grundlegenden Kurswechsels auch an der Goethe-Universität zur Abmilderung der Klimakatastrophe an einer Universität die Leitungsebene trotz laufender Verhandlungen und friedlicher Podiumsdiskussion, unter anderem mit Vertreter*innen des eigenen Nachhaltigkeitsbüros (4), die Räumung des Hörsaals durch ein Großaufgebot der Polizei veranlassen kann, hat uns zutiefst schockiert.

Wir halten dies für einen absolut inakzeptablen Umgang mit Mitarbeitenden und Studierenden der Goethe-Universität, für den die Leitung der Universität öffentlich in die Verantwortung genommen werden muss. Darauf verweist alleine schon die Muster-Versammlungsstättenverordnung (MVStättVO).

„Das Management, also die auf oberster Ebene zur ‚Leitung des Hauses‘ berufenen Vertreter, steht dem Wortlaut der Vorschrift nach im Mittelpunkt der Verantwortung“ schreibt dazu zum Beispiel die Kanzlei Lohr (5). Dazu übernimmt “[d]er Veranstaltungsleiter [..] eine besondere Sicherungspflicht und hat insbesondere dafür zu sorgen, dass Besucher bei Veranstaltungen in der Versammlungsstätte nicht zu Schaden kommen. Dazu zählt das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Angehöriger der Berufsgruppe für notwendig und ausreichend halten darf, um Andere vor Schäden zu bewahren“ (ebd.).

Nicht nur, dass die Reaktion auf die Hörsaalbesetzung absolut unverhältnismäßig, die Wahl der weiteren ergriffenen Maßnahme unzumutbar und die Verständigkeit und Umsichtigkeit des Kanzlers in jedem Fall in Zweifel zu ziehen ist:

Mit der Entscheidung, den Hörsaal durch die Polizei räumen zu lassen, gingen Verletzungen unterschiedlichster psychischer und physischer Intensität einher – von einer für manche, gerade ankommenden Interessierten erfahrenen plötzlich stattfindenden Zwangsmaßnahme durch die Polizei, Gewaltandrohungen, Demütigungen, körperliche Gewalt, Festnahmen und Nacktdurchsuchungen, die nachwirken. Dennoch hat es die Hochschulleitung bis heute (1,5 Monate danach) versäumt, sich zumindest öffentlich und ordentlich für ihre inkompetente und inadäquate Entscheidung bei den Geschädigten des Polizeieinsatzes zu entschuldigen, geschweige denn sich einer öffentlichen Debatte zur Aufarbeitung zu stellen.

Die Räumung reiht sich zudem in eine seit Jahren zu beobachtende bedenkliche Entwicklung: Die Hochschulleitung möchte die Goethe-Universität zu einem vorgeblich unpolitischen Raum machen. Hinter der unpolitischen Fassade steht ein klares Programm, das Studierende zu Kund*innen degradiert und diesen, wie auch Mitarbeiter*innen, kaum Mitspracherechte über den Kurs der Universität einräumt, z.B. durch undemokratisch besetzte Gremien mit professoraler Mehrheit. Schlechte Arbeits- und Studienbedingungen oder die Kriminalisierung von Klimaprotesten sind jedoch keine Selbstverständlichkeit, sondern politische Entscheidungen der Hochschulleitung!

Polizeiliche Maßnahmen gegen Universitäts-Angehörige sind offensichtlich ein plumper, sowie brachialer, Versuch, diese von politischer Partizipation abzuschrecken und ihrer demokratischen Teilhabe gewaltvoll Grenzen zu setzen. Proteste werden offensichtlich nur dann geduldet, wenn sie nicht provozieren und im Abseits stattfinden, wo sie nicht auffallen – denn nur dann können sie einfach ignoriert werden. Wirksamer Protest muss allerdings unbequem für die Adressat*innen, wie in diesem Fall etwa das Präsidium, sein. Wir möchten eine lebendige, klimagerechte Universität mit demokratischer Streit- und Konfliktkultur – wenn das Präsidium dafür keine Räume und Möglichkeiten lassen möchte, müssen wir uns organisieren und diese erkämpfen!

Als Gewerkschaft, deren Leitziele Demokratisierung, Feminismus und Ökologie umfassen, unterstützen wir die globale, jugendgeführte Klimagerechtigkeitsbewegung weiterhin. Dazu stehen wir solidarisch an der Seite der Aktivist*innen von End Fossil: Occupy Frankfurt und aller, die Repressionen während und infolge der Räumung erfahren haben. Der Forderung der studentischen Vollversammlung nach einer öffentlichen Aufarbeitung des Polizeieinsatzes der Hochschulleitung noch bis zum 10.02.23 schließen wir uns ebenfalls an. Dem (mit-)verantwortlichen Kanzler Albrecht Fester darf es nicht gestattet werden, sich einfach aus der Affäre in den Ruhestand zu verziehen. Denn, Klimaschützen ist kein Verbrechen – Besucher*innen von Versammlungsstätten zu gefährden am Ende schon.

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(1) AstA Uni Frankfurt (2022): Unverhältnismäßige Räumung der Hörsaalbesetzung an der Universität Frankfurt https://asta-frankfurt.de/2022-12/unverhaeltnismaessige-raeumung-der-hoersaalbesetzung-der-universitaet-frankfurt (Aufgerufen 26.01.2023)

(2) Deutschlandweite Dachforderungen einsehbar unter: www.endfossil.de (Aufgerufen 26.01.2023)

(3) lokale Forderungen der Ortsgruppe End Fossil: Occupy Frankfurt sind einsehbar in den sozialen Netzwerken der Ortsgruppe: https://linktr.ee/endfossil_ffm (Aufgerufen 26.01.2023)

(4) Das Nachhaltigkeitsbüro der Goethe-Universität wurde im Spätsommer 2022 (!) eingerichtet. Und das auch nur unter Druck der Studierenden. Trotz der fundierten wissenschaftlichen Erkenntnis-se über den Klimawandel, seiner profitierenden Verursacher im globalen Norden und seine heute schon spürbaren katastrophalen Folgen für Betroffene, vornehmlich im globalen Süden.

(5) Kanlei Lohr (2023): Die Veranstaltungsleitung. URL: https://www.kanzleiloehr.de/beratungsfelder/die-veranstaltungsleitung/ (Aufgerufen 26.01.2023)