unter_bau in der FAZ: “Tarifvertrag gefordert: Studentische Hilfskräfte drohen mit Streik”

unter_bau in der FAZ: “Tarifvertrag gefordert: Studentische Hilfskräfte drohen mit Streik”
Benjamin, Allgemeiner Sekretär von unter_bau, an seinem Lohnarbeitsort, der Bibliothek im IG-Farben-Haus. Abbildung mit freundlicher Unterstützung deines lokalen Kiosks. Originalfoto: Ben Kilb.

Presseschau: unter_bau in der FAZ vom 24. Oktober 2023.

Kurze Verträge, Bezahlung knapp über dem Mindestlohn und Aufgaben, die eigentlich Festangestellte erledigen sollten: Viele studentische Hilfskräfte sind unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen. Ihre Gewerkschaftsvertreter fordern einen Tarifvertrag und drohen mit Streik.

Von SASCHA ZOSKE

Benjamin Rauch und Niklas Beick mögen ihre Jobs, aber dass diese der Weiterbildung der beiden Studenten dienen, darf bezweifelt werden. Dabei sollten Hilfskrafttätigkeiten genau das eigentlich tun – so steht es jedenfalls im „Kodex für gute Arbeit“, auf den sich Hessens staatliche Hochschulen, die Gewerkschaften und das Wissenschaftsministerium verständigt haben. Gelegentlich könne er während seiner Arbeit in der Bibliothek einen Text fürs Studium lesen, sagt Rauch, Masterstudent der Ästhetik und Sekretär der Hochschulgewerkschaft unter_bau. Ansonsten erledige er Verwaltungsaufgaben – so wie viele andere Hiwis an der Goethe-Uni. Beick, der an der Uni Gießen Geschichte, Politik und Biologie studiert, hat zwei Hilfskraft-Jobs: Er fertigt Lehrplan-Übersichten für das Historische Institut an und kümmert sich am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte um Literatur. Lehrinhalte abzustimmen sei eine Aufgabe, die Festangestellte erledigen sollten, meint Beick, Landessprecher der Studierenden in der Gewerkschaft GEW. Auch das Bestellen von Büchern und Einscannen von Texten sei „eigentlich keine wissenschaftliche Aufgabe“.

Initiative fordert Stundenlohn von 20 Euro

Beide Gewerkschafter wissen, dass ihre Unis darauf angewiesen sind, dass studentische Hilfskräfte auch solche Arbeiten erledigen – und ihnen ist klar, dass viele ihrer Kommilitonen das Geld aus diesen Jobs ebenso sehr brauchen wie sie selbst. Umso mehr wollen sie dafür kämpfen, dass sich Bezahlung und Arbeitsbedingungen der Hiwis verbessern. Da bald wieder Tarifgespräche mit dem Land und den Hochschulen anstehen, machen GEW, Verdi und unter_bau mobil: Sie fordern höhere Löhne und die Aufnahme der studentischen Hilfskräfte in Tarifverträge. Letzteres ist auch das Ziel der  bundesweiten Bewegung „TVStud“, die derzeit an den Hochschulen um Unterstützung wirbt. In Frankfurt zum Beispiel fordert die Initiative für Hiwis einen Stundenlohn von 20 Euro, unbefristete Arbeitsverträge, 30 statt 20 Urlaubstage im Jahr und eine eigene Personalvertretung. Vom Tarifvertrag des Landes Hessen sind die Hilfskräfte bisher ausgeschlossen. Auch das Hessische Personalvertretungsgesetz gilt nicht für sie, wobei hier allerdings eine Neuerung in die Wege geleitet wurde: An den Hochschulen sollen Hilfskräfteräte gewählt werden, aus denen wiederum ein bis zwei Mitglieder mit Stimmrecht an Sitzungen der Personalräte teilnehmen dürfen. Im Übrigen gelten für Tutoren, Bibliothekskräfte und andere Helfer die Regeln der jeweiligen Hochschulen. Die Uni Frankfurt etwa zahlt einen Stundenlohn von 12,48 Euro, Hiwis mit Bachelor bekommen 13,53 Euro. „Kodex für gute Arbeit“ nicht bindend Rechtlich nicht bindend ist der „Kodex für gute Arbeit“, der einen Passus über studentische Hilfskräfte enthält. Dort heißt es, ihre Stellen sollten hochschulöffentlich ausgeschrieben werden, und die Arbeitszeit solle 20 Stunden in der Woche nicht überschreiten. Die Beschäftigung solle in der Regel mindestens zwei Semester und dürfe höchstens sechs Jahre dauern. Wenn es unbedingt erforderlich sei oder von den Studenten ausdrücklich gewünscht werde, seien kürzere Vertragslaufzeiten möglich. In der Praxis sind mehrjährige Arbeitsverhältnisse indes die Ausnahme, wie die Antwort des hessischen Wissenschaftsministeriums auf eine Kleine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion zeigt: Von mehr als 10.600 Hilfskräften hatten im Sommersemester 2023 gut 4700 einen Vertrag mit einer Laufzeit von weniger als sechs Monaten; lediglich rund 1700 waren länger als zwölf Monate beschäftigt. Niklas Beick hat schon Mühe, aus dem Kopf die Zahl der Verträge zu nennen, die er für seinen Hiwi-Job an der Professur für Mittelalterliche Geschichte unterschrieben hat – fünf oder sechs waren es wohl. Auch nach seiner Erfahrung sind Laufzeiten von mehr als einem Jahr die Ausnahme.

Mehrarbeit bleibt oft unbezahlt

Das Bekanntmachen freier Hiwi-Stellen etwa durch Aushänge ist an den Hochschulen weit verbreitet, aber längst nicht jede Stelle wird auf transparente Art vergeben. Beick etwa wurde direkt von seinem Professor gefragt, ob er das Abstimmen der Lehrpläne übernehmen wolle. „Es gibt keine Kontrollinstanz, die prüft, ob ein Bewerber für eine bestimmte Aufgabe geeignet ist.“ Konsequent sind die Unis nach Angaben der Gewerkschafter beim Erfassen der Arbeitszeit – zumindest insofern, als der Form Genüge getan wird. „Das verursacht viel Bürokratie, führt aber nicht zu mehr Gerechtigkeit“, meint Justus Kempfer, Mathematikstudent der TU Darmstadt und ebenfalls in der GEW engagiert. Überstunden würden nicht bezahlt. „Wenn jemand mehr Stunden auf dem Zettel hat, heißt es nur: Arbeite weniger. Viele arbeiten dann trotzdem mehr, geben aber nur die Stundenzahl an, die im Vertrag steht. So ersparen sie sich Diskussionen.“ Kempfers Gießener GEW-Kollege Beick hat schon Wünsche seines Vorgesetzten nach Mehrarbeit zurückgewiesen. Kommilitonen, die weniger selbstbewusst oder schlechter informiert sind als er, laufen eher Gefahr, ausgebeutet zu werden. Viele Hiwis kennen ihre Rechte nicht, wissen nicht, dass sie Anspruch auf Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall haben. Der Frankfurter unter_bau-Aktivist Rauch berichtet von einem Bekannten, der in zwei Jahren Hilfstätigkeit nicht einmal Urlaub genommen habe. „Als er mit seiner Professorin über den Urlaubsanspruch sprach, entgegnete sie, das hätte sie ihm ja wohl nicht sagen müssen.“

Schlechte Chancen für Aufnahme in Tarifvertrag

Auch auf solche Missstände wollen die Gewerkschafter in den nächsten Wochen hinweisen, wenn sie an den Hochschulen um Unterstützung werben. Anfang November wird sich die GEW Hessen laut ihrem Hochschulreferenten Tobias Cepok für die Tarifgespräche positionieren, die im Februar beginnen. Wahrscheinlich werde man die Aufnahme der Hiwis in den Landestarifvertrag fordern. Zwischen den Verhandlungsrunden könnten dann auch Hilfskräfte die Arbeit niederlegen. Da die Initiative „TVStud“ bundesweit agiert, hofft Benjamin Rauch auf den „größten Hilfskräftestreik Deutschlands“. Dass der Stundenlohn auf 20 Euro steigt, ist allerdings ebenso wenig wahrscheinlich wie die Aufnahme der Hiwis in den Tarifvertrag. Zwar befürwortet die SPD im Landtag dies ausdrücklich, und die Grünen können es sich zumindest vorstellen, doch die bei der Wahl siegreiche CDU gilt nicht als Anhängerin einer solchen Lösung. Eine Anfrage hierzu ließ die Landtagsfraktion unbeantwortet. Auch das Präsidium der Uni Frankfurt, deren Haustarifvertrag Ende Januar ausläuft, sieht keine Notwendigkeit, am Status quo etwas zu ändern: „Nach Einführung der universitären Selbstverpflichtung hat sich die Situation der Hilfskräfte an der Goethe-Universität verbessert.“ Da die Entgelte seit 2017 an die Erhöhungen für bestimmte Tarifgruppen gekoppelt seien, könne es nach Abschluss der laufenden Tarifrunde für Hiwis mehr Geld geben. Einen Haustarifvertrag hat auch die TU Darmstadt, an der Justus Kempfer studiert. Früher war er Tutor und Mentor, jetzt arbeitet der Siebenundzwanzigjährige nicht mehr als Hilfskraft, weil er das Limit von sechs Jahren Beschäftigung erreicht hat. Allzu viel Hoffnung auf einen Tarifvertrag, wie es ihn in Berlin schon gibt, hat er anscheinend nicht: „Ein Verhandlungsführer des Landes Hessen hat mir mal gesagt: Kommen Sie wieder, wenn ein richtiges Bundesland das hat.“ Um so wichtiger ist ihm wenigstens eine bessere Bezahlung für seine Mitstudenten: „16,50 Euro wären ein fairer Lohn verglichen mit dem, was man in anderen Jobs bekommt.“ Die Tätigkeiten der Hilfskräfte seien zum Teil durchaus anspruchsvoll. „Mathe-Klausuren korrigieren kann nicht jeder.“ Vor allem aber käme man so in die Nähe eines Lohns, der tatsächlich „existenzsichernd“ sei. „Dann muss sich auch kein Student mehr überlegen, ob er es sich gerade leisten kann, sich von der Uni ausbeuten zu lassen.“