unter_bau auf der bundesweiten TVStud-Konferenz “Jetzt oder Nie! Get Organized to Win!” in Göttingen

unter_bau auf der bundesweiten TVStud-Konferenz “Jetzt oder Nie! Get Organized to Win!” in Göttingen
Aktionsfoto auf der TVStud-Konferenz in Göttingen, 24.-26.02.2023. Foto: Kai Herschelmann.

Tarifvertrag Jetzt! Am vergangenen Wochenende waren 250 Studentische Hilfskräfte aus ganz Deutschland auf der bundesweiten TVStud-Organizing-Konferenz “Jetzt oder Nie! Get Organized to Win!” in Göttingen. Es war groß, es war bunt und vor allem war es kämpferisch und motivierend! Bericht und Impressionen gibt’s für euch hier.

Worum ging’s? 250 Hilfskräfte und Tutor*innen (Studentische Beschäftigte) aus 40 TVStud-Ortsgruppen an Hochschulen in ganz Deutschland haben auf der Konferenz vom 24.-26. Februar 2023 eine gemeinsame Strategie für die Durchsetzung eines Tarifvertrags für Studentische Beschäftigte (TVStud) beschlossen: Miteinander reden und uns lokal zusammenschließen, um als Basis-Organisation stark genug für die kommenden Streik-Semester 2023 zu werden (in Gewerkschaftskreisen heißt der Ansatz “Organizing“). Konkret fordert die TVStud-Bewegung höhere Löhne, längere Vertragslaufzeiten und eine Personalvertretung für Studentische Beschäftigte an jeder Uni. Dieses Jahr sind wieder Tarifrunden der Länder und die Arbeit der Studentischen Beschäftigten muss dort endlich auch als Arbeit tarifvertraglich anerkannt werden – denn aktuell giltst du als Hilfskraft Kostenstellen-technisch als „Sachmittel“, nicht als Mitarbeitende. Aus Frankfurt waren sechs Kolleg*innen in Göttingen und haben die Studentischen Beschäftigten (Hilfskräfte und Tutor*innen) der Goethe-Uni und unter_bau bundes- und hessenweit vernetzt.

Auf der Konferenz am Campus der Uni Göttingen wurde auch die kürzlich erschienene Studie “Jung, akademisch, prekär. Studie zu sozialer Lage und Arbeitsbedingungen studentischer Beschäftigter an Hochschulen und Forschungseinrichtung[>>1]. Diese Studie wurde durch Aktive der TVStud-Bewegung selbst initiiert und durchgeführt. Denn die Studie liefert konkrete Zahlen über die Situation Studentischer Beschäftigter und damit Argumente gegen die Arbeitgeber*innen bei den kommenden Tarifverhandlungen für den TVStud. Auch unter_bau bewarb die Online-Umfrage an der Goethe-Uni. Bundesweit wurden so im Zeitraum vom 30. Januar 2022 bis zum 22. Juli 2022 11.107 studentische/wissenschaftliche Hilfskräfte und Tutor*innen zu ihren Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitsbedingungen befragt. Die Studie ist damit die bisher umfassendste Erhebung im Feld und ein beeindruckendes Beispiel gewerkschaftlicher Basisinitiative.

Die Ergebnisse sind so erschreckend wie im unter_bau leider bekannt: “Ein großer Teil der Studentischen Beschäftigten, mitunter sogar die Mehrheit, nimmt bestehenden Urlaubsanspruch nicht wahr, arbeitet Krankheitstage nach und leistet Überstunden – und das teilweise unter expliziter Aufforderung durch die Vorgesetzten, monatelang ohne Bezahlung oder gar Arbeitsvertrag. Studentische Beschäftigte erbringen ihre Tätigkeiten in einem Feld, in dem sie oft weitgehend von betrieblicher Mitbestimmung ausgeschlossen werden und in dem grundlegende Arbeitsrechtsverstöße die Regel sind statt die Ausnahme” (Hopp et al. 2009:5).

Die zentralen Erkenntnisse der Studie:

Foto: Kai Herschelmann
  • Die unregulierten, intransparenten Beschäftigungsverhältnisse Studentischer Beschäftigter jenseits demokratischer Mittbestimmung und damit Kontrolle gefährden die geltenden Tarifverträge aller Beschäftigten. Denn das Anstellungsverhältnis als Studentische Hilfskraft bietet somit für die Arbeitgeberseite die Möglichkeit, Arbeiten günstiger und “flexibler”, sprich prekärer, verrichten zu lassen als über die tarifierten Angestellten (Hopp et al. 2023:117). Wir sehen es überall: Hilfskräfte erfüllen auch an der Goethe-Uni zunehmend Daueraufgaben der Verwaltung, des Hochschulrechenzentrums und der Bibliothek.
  • “Die Arbeit bedeutet für die studentischen Beschäftigen Erwerbsarbeit und Qualifizierung zugleich” (ebd.:119). Wenig überraschend: Während Studierende aus Arbeiterfamilien Lohnarbeiten eher wegen des finanziellen Aspekts nachgehen, gehen ihre qua Herkunft finanziell besser gestellten Kommiliton*innen einer Lohnarbeit eher nach, um ihren Lebenslauf “aufzumöbeln”, sprich neoliberalen Qualifikationslogiken anzupassen. Prekäre Jobs wie den der Studentischen Hilfskraft muss man sich also leisten können. Die Krux: 2/3 der Promovierenden an deutschen Hochschulen waren vorher Studentische Beschäftigte (Lenger 2009:121f). Eine Karriere in der Wissenschaft muss man sich also schon leisten können, bevor sie überhaupt begonnen hat.
  • “Studentische Beschäftigte sind trotz ihrer Arbeit im öffentlichen Dienst von Armut bedroht” (Hopp et al. 2023:120). Die Zahlen sprechen für sich: “2021 galten 76,1% der alleine oder nur mit anderen Studierenden zusammenlebenden Studierenden in Deutschland als armutsgefährdet (Statistisches Bundesamt 2022e). Unter den studentischen Beschäftigten sind es 77,8%” (ebd.:121f.).
  • “Das System studentischer Beschäftigung ist ein System permanenter Bewährung” (ebd.). Kurzfristig beschäftigt in Kettenbefristung at it’s best: “Durchschnittlich haben studentische Beschäftigte (ohne studentische Angestellte) zum Zeitpunkt der Befragung 4,6 Verträge geschlossen und arbeiten 20,2 Monate im öffentlichen Dienst” (ebd.). Die Folge sind enorme finanzielle Unsicherheit und Unplanbarkeit und damit starke Abhängigkeit von den direkten Vorgesetzten. Wer fordert Urlaub, Anerkennung von Überstunden oder Krankheitstage ein, wenn die nächste Entlassung im Durchschnitt (ohne Berlin; dort gibt es seit 1981 einen TVStud) 5,7 Monate (ebd.) entfernt ist?
  • So schließt sich der Kreis und die Autor*innen resümieren: “Die Nichteinhaltung von Arbeitnehmer*innenrechten stellt den Regelfall dar” (ebd.:122).

Die TVStud-Konferenz in Göttingen hat gezeigt: Es gibt überall in Deutschland eine stetig wachsende Menge Studentischer Hilfskräfte und Tutor*innen, die sagen: Es reicht! Zum Glück gibt es die Möglichkeit, Arbeitsverhältnisse in Deutschland kollektiv und wirksam zu regulieren. Denn auch das ist ein Ergebnis der Studie von Marvin Hopp, Anki Hoffmann, Aaron Zielke, Lukas Leslie und Marti Seeliger (2009): Im Vergleich zu Berlin, “wo die Arbeitsbeziehungen [Studentischer Beschäftigter] über einen Tarifvertrag [seit 1981] reguliert sind und ein eigener studentischer Personalrat besteht, steigt der Anteil der Beschäftigten deutlich an, die ihre Arbeitnehmer*innenrechte kennen und durchsetzen” (ebd.:6).

Berlin zeigt ebenfalls: Studentische Beschäftigte sind organisierbar und tarifierbar — anders als Arbeitgeber*innen (und auch der*die ein*e oder andere Gewerkschaftsfunktionär*in beim DGB) gerne behaupten. Und das auch noch fern der “Goldenen 80er”: Denn auch 2018 setzen sich die Studentischen Beschäftigten in Berlin durch und erkämpften in 41 Streiktagen die Anpassung des Tarifvertrags im TVStud III. Uns in Frankfurt und bundesweit zeigt das: Wenn wir Studentischen Beschäftigten eine gemeinsame Stimme entwickeln und gemeinsam in den Arbeitskampf treten, können wir uns gegen miese Arbeitsbedingungen zur Wehr setzen und den TVStud auch im Jahr 2023/24 durchsetzen.

Im unter_bau leisten wir seit Gründung 2016 konkrete Arbeit für den TVStud. Nicht zuletzt entstand die Hochschulgewerkschaft aus der Hilfskraft-Initiative der Goethe-Uni heraus. Jetzt kommt es auf dich an — denn eine Gewerkschaft ist nur so stark wie ihre Mitglieder!

Was kannst du tun?

>> Sprich deine Kolleg*innen an, erzähl ihnen von TVStud und redet über eure Arbeitsbedingungen. Mehr Infos zur Bundesinitiative: https://tvstud.de/

>> Komm zu unseren Goethe-TVStud-Treffen! Das nächste ist diesen Freitag, 03. März, 14-16 Uhr im Woanders, PEG 1.G 207, Campus Westend. Unsere Treffen sind offen für alle interessierten Studis, auch falls du keine Hilfskraft (mehr) bist.

>> Komm in unsere Vernetzungs-Kanäle für Studentische Beschäftigte an der Goethe-Uni, um Infos und Aufrufe nicht zu verpassen: Telegram | WhatsApp

>> Tritt einer Gewerkschaft bei. An der Goethe-Uni sind Studis und HiWis aktuell am stärksten im unter_bau organisiert. Hier kommst du zur Anmeldung: Mitglied werden.

 

Wir Aktiven im unter_bau freuen uns auf ein ereignisstarkes Jahr 2023 an der Goethe-Uni — mit dir und deinen Kolleg*innen!

TVStud JETZT!

[1] Durchgeführt vom Institut für Arbeit und Wirtschaft (IAW) wurden im Auftrag der bundesweiten TVStud-Kampagne mit Unterstützung von GEW und ver.di an der GU und bundesweit 11.000 Studentische Beschäftigte befragt. Es ist die bislang größte Befragung zu diesem Thema. Siehe Hopp, Marvin/ Hoffmann, Ann-Kathrin/ Zielke, Aaron/ Leslie, Lukas/ Seeliger, Marti (2023): Jung, akademisch, prekär. Studie zu sozialer Lage und Arbeitsbedingungen Studentischer Beschäftigter an Hochschulen und Forschungseinrichtung. Die gesamte Studie könnt ihr hier online lesen: https://www.iaw.uni-bremen.de/archiv/mitteilungen/detail?news=90#news90

 

Impressionen aus Göttingen: