Zum Mythos der antifaschistischen Einheitsgewerkschaft

Zum Mythos der antifaschistischen Einheitsgewerkschaft

„Das hätte Wilhelm Leuschner womöglich nicht gefallen“: Das Deutschlandradio Kultur veröffentlichte anlässlich der Gründung des unter_bau einen Beitrag zur Annahme der Einheitsgewerkschaft als Bollwerk gegen den Faschismus. unter_bau-Mitglied Ferdi Konun kommentiert, warum dieser Annahme widersprochen werden muss.

In einem früheren Beitrag waren wir bereits als Wiedergängerin der Spanischen Revolution im Gespräch, die aber vielleicht doch dem DGB beitreten möchte. Dieses mal wurden wir hingegen als „sexy“ Gewerkschaft bezeichnet, die jedoch womöglich das Vermächtnis des Antifaschismus bedroht. Selbst Wilhelm Leuschner und Andrea Nahles werden ins Feld geführt. Dazu im Folgenden ein paar Anmerkungen. Denn die Vorstellung von der Einheitsgewerkschaft als Bollwerk gegen den Faschismus ist zwar eine sehr wirkungsmächtige, aber trotzdem ein nicht sonderlich faktenbasierter Mythos.

Erstens: Nach 1945 waren es gerade unabhängige Gewerkschaften und Betriebskomitees, die den Antifaschismus hoch hielten und für eine konsequente Entnazifizierung der deutschen Wirtschaft eintraten. Der von unten organisierte Generalstreik im Jahr 1948 in der westlichen Besatzungszone hatte dies etwa als zentrale Forderung. Dem damals entstehenden DGB hingegen wurde von den West-Alliierten vielmehr die Rolle zugewiesen, diesen unabhängigen Kräften den Wind aus den Segeln zu nehmen und als „Bollwerk gegen Kommunismus und Radikalismus“ zu fungieren.

Zweitens: Die Vorläuferin des DGB, der ADGB, hatte bereits vor 1933 eine ähnliche Stellung wie der DGB heute. Bei den letzten freien Betriebswahlen im Frühjahr 1933 erhielt der ADGB fast 75 Prozent der Stimmen, die kommunistische RGO noch nicht einmal fünf Prozent. Insofern äußerte sich die Spaltung der Arbeiterbewegung vielmehr auf parteipolitischer und weniger auf gewerkschaftlicher Ebene. Genützt hatte der hohe gewerkschaftliche Zentralisierungsgrad dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus allerdings wenig. Vielmehr distanzierte (spaltete?) sich der ADGB zunehmend von der Sozialdemokratie, während seine Führung sogar Forderungen aus der Basis nach einem Generalstreik nicht nur zurückwies, sondern aktiv zum Stillhalten aufrief.

Drittens: Die Bemühung, den Begriff der Einheitsgewerkschaft antifaschistisch zu deuten, darf als perfide Geschichtsklitterung bezeichnet werden. Denn aufgeworfen wurde das Konzept bereits im Frühjahr 1933 – und das keineswegs im antifaschistischen Sinne. Mit dem Beschluss des „Führerkreises der vereinigten Gewerkschaften“ – unterzeichnet unter anderem von der ADGB-Führung – sollte die Einheitsgewerkschaft in den Dienst der „nationalen Revolution“ gestellt sowie „klassenmäßige Trennung und volksabgewandte Internationalität“ überwunden werden, um „alle Kräfte des deutschen Volkes zu einer stärkeren Einheit zusammenzufassen“. Der DGB verschweigt dieses unrühmliche Kapitel fortwährend und deutet das Aufkommen von der Idee der Einheitsgewerkschaft als Konsequenz aus dem Faschismus um.

Viertens: Die Idee der Einheitsgewerkschaft war schon immer mit dem Konzept des Korporatismus verbunden. Und dieses wiederum ist eine zentrale Eigenschaft faschistischer Sozial- und Wirtschaftsordnungen, in denen die Arbeit aller wirtschaftlichen Verbände auf das Gemeinwohl der „Volksgemeinschaft“ ausgerichtet ist. In Deutschland hat der Korporatismus seinen Ursprung in der „Burgfriedenspolitik“ der sozialdemokratischen freien Gewerkschaften während des Ersten Weltkriegs, die gerne als „Kriegssozialismus“ beschönigt wird. Er findet – wenn auch in abgeschwächter Form – seine Fortsetzung in der „Sozialpartnerschaft“, wie sie erst vom ADGB und später vom DGB mitgetragen wurde: die Negation des Klassenkonflikts zugunsten eines gemeinsamen volkswirtschaftlichen Interesses.

Fünftens: Wie schon zum Ersten Weltkrieg waren es auch 1933 eben nicht die Zentralgewerkschaften, die für konsequenten Widerstand gegen Nationalismus und Faschismus standen, sondern vielmehr die Alternativgewerkschaften, wie die ab 1914 als Kriegsopposition verfolgte FVdG oder die 1933 geschlossen in den Untergrund gegangene FAUD. Entsprechend war der Widerstand gegen den Faschismus auch in den Ländern wesentlich entschiedener, wo alternativgewerkschaftliche Konzepte vorherrschten, so etwa in Spanien, wo die ein bis zwei Millionen Mitglieder der anarchosyndikalistischen CNT sich nicht wie die deutschen Gewerkschaften dem Faschismus andienten und diesen gewähren ließen, sondern sich ihm aufrecht entgegenstellten.

Sechstens: Es ist ein zutiefst mechanischer Gedanke, dass die Uniformierung der Gewerkschaften in einer Zentral- oder Einheitsorganisation zu einer stärkeren Kampfkraft ihrer Mitglieder führen würde. Die Streikquoten und die Zugeständnisse des Kapitals sind nachweislich in Ländern höher, wo es plurale Gewerkschaftslandschaften gibt. Selbst die neoliberale OECD empfiehlt den Regierungen dieser Welt eine Zentralisierung von Gewerkschaften zu fördern, weil dies die Befriedung des „Standorts“ begünstige. Die Behauptung, Einheitsgewerkschaften wären im Interesse der Lohnabhängigen, ist daher schlichtweg kontrafaktisch. Vielmehr dienen derlei Stellvertreterapparate zur Passivmachung der Lohnabhängigen. Das wäre eine aus den Lehren des Faschismus zu ziehende Konsequenz.

Siebtens: Genannter Wilhelm Leuschner eignet sich nicht besonders gut als antifaschistischer Kronzeuge. Bereits als hessischer Innenminister hatte er das 1929 verabschiedete „Gesetz zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ vorgelegt, das der systematischen Ermordung von Sinti und Roma während des Nationalsozialismus den Weg ebnete. Er war weiterhin federführend beim nationalistischen Anpassungskurs des ADGB und als Mitglied des „Führerkreises der vereinigten Gewerkschaften“ Mitunterzeichner jenes Beschlusses, der die „Einheitsgewerkschaft“ in den Dienst der „nationalen Revolution“ stellen wollte. Ferner gehörte er dem Schattenkabinet der Stauffenberg-Putschisten an, die sich zwar gegen Hitler richteten, aber selbst eine semi-faschistische Ordnung ständestaatlichen Typs vorsahen. Wenn es also heißt, Leuschner hätte am unter_bau keinen Gefallen gefunden, können wir uns in unserem Kurs nur bestätigt sehen.

Achtens: Wir freuen uns immer wieder über die Beiträge von Deutschlandradio-Autor Ludger Fittkau, die stets einige interessante Aspekte ansprechen. Sie sind immer guter Anlass, einige zentrale Fragen gewerkschaftlicher Organisationsansätze vertiefend zu erörtern. In diesem Sinne nehmen wir den Ball dankend auf.

Neuntens: Der unter_bau ist keine Berufsgewerkschaft, wie im Beitrag behauptet sondern eine Hochschulgewerkschaft und als solche offen für alle an der Universität vertretenen Berufe.

Hier geht’s zum Beitrag von Ludgar Fittkau: Einheitsgewerkschaft: Wilhelm Leuschners Vermächtnis.