Schluss mit Arbeitskampf, ja zu Überlastung und Reallohnverlust! – Kommentar zum Tarifabschluss von GEW & ver.di für die Beschäftigten der Goethe-Universität und des Landes Hessen

Schluss mit Arbeitskampf, ja zu Überlastung und Reallohnverlust! – Kommentar zum Tarifabschluss von GEW & ver.di für die Beschäftigten der Goethe-Universität und des Landes Hessen

 

Am 15. März gaben die Gewerkschaften ver.di und GEW die Tarifeinigung zum Tarifvertrag des Landes Hessen (TV-H) bekannt. Nur drei Tage zuvor waren 4200 Landesbeschäftigte dem Aufruf der DGB-Gewerkschaften zum Warnstreik gefolgt und beteiligten sich in Frankfurt und Kassel an den Demonstrationen. Die Mobilisierung war damit so groß wie seit über zehn Jahren nicht mehr. An der Goethe-Universität allein kamen vormittags 400 Kolleg*innen zur Personalversammlung und informierten sich zum Stand der Verhandlungen. Die Stimmung war gut und kämpferisch. Auf der späteren Kundgebung an der Hauptwache wurden die Kolleg*innen von DGB-Hauptamtlichen darauf eingestimmt, sich auf einen möglicherweise länger andauernden Arbeitskampf einzustellen.

Dieser fand nicht statt. Stattdessen ließen sich ver.di und GEW auf einen Kompromiss mit dem Arbeitgeber ein – und in bester Tradition der DGB-Gewerkschaften werden die Ergebnisse des Tarifabschlusses nun als Erfolg dargestellt. Dabei kann die Einigung die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten hessischer Hochschulen nicht nachhaltig verbessern. Schon die ursprünglich geforderten 10,5 % Lohnerhöhung blieben hinter der Inflationsentwicklung der letzten Jahre zurück. Die nun erzielten 200 Euro ab Februar 2025 und 5,5 % ab August 2025 sind weiterhin ein dickes Minus-Geschäft für die Mitarbeitenden. Konkret heißt das: ein Reallohnverlust von ca. -4 % (E6) bis -6 % (E13). Auf das Jahr gerechnet entspricht das ca. einem halben Monatslohn (ca. 1550€ brutto) bei E6 und 3/4 Monatslohn (ca. 3600€ brutto) bei E13. Euphemistische Konstrukte wie der sogenannte Inflationsausgleich oder die, je nach Entgeltgruppen variierende, Erhöhung der Jahressonderzahlung täuschen daher nicht über den Umstand hinweg, dass Angestellte der Universität am Ende eines Monats faktisch weniger Geld zur Verfügung haben, um die immer weiter steigenden Lebenshaltungskosten ausgleichen zu können. Bereits absehbare und weiterhin stattfindende Preissteigerungen finden erst recht keinerlei Berücksichtigung. Stattdessen wird den Arbeitgebern erneut gestattet, längst überfällige und sofort benötigte Entgelterhöhungen den Beschäftigten stückchenweise zukommen zu lassen, obwohl die Belegschaft zuvorderst wiederholt äußerte, dass dieses Geld sofort benötigt wird, und die Bereitschaft ersichtlich war, Lohnforderungen mit kämpferischen Streiks durchzusetzen.

Als besonderen Erfolg stellen ver.di und GEW die erzielte Regelung zur Ausweitung unbefristeter Beschäftigung an Hochschulen dar: Hessenweit beläuft sich diese auf insgesamt 375 unbefristete Vollzeitstellen für Wissenschaftler*innen, die aus Landesmitteln finanziert werden – bis zum Jahr 2025. Dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst wird die Verteilung dieser entfristeten Stellen für die 18 staatlichen Hochschulen überlassen. Man kann davon ausgehen, dass etwa 300 dieser Stellen auf die fünf Universitäten verteilt werden. Für die Goethe-Universität könnte dies 60 bis 80 zusätzliche entfristete Stellen im Mittelbau bedeuten. Dies entspricht einem Anstieg von drei bis vier Prozent an entfristeten Stellen an der Goethe-Universität. Dies als großen Erfolg darzustellen, ist ein Hohn gegenüber den Beschäftigten, die unter extrem prekären Bedingungen exzellente Forschung für den Staat betreiben sollen. Es zeigt jedoch deutlich, dass auch abseits von Lohnfragen Tarifregelungen möglich sind, obwohl dies von einigen Vertretern der GEW und ver.di an der Goethe-Universität bestritten wurde. Deswegen wurde die Entfristung nicht als Tarifforderung erhoben, sondern nur als Erwartung formuliert. Somit steht für GEW und ver.di nach dem Ende der Tarifverhandlungen einzig die vage Erwartung im Raum, dass sachgrundlose Befristungen, zumindest im Bereich der Verwaltung und der technischen Angestellten, zukünftig vermieden werden sollen. Die immer rasanter agierende Dynamik von Prekarisierung, Kettenverträgen und dem Burnout der ohnehin bereits überlasteten Beschäftigten wird somit weiterhin in Kauf genommen.

Daher kann es mitnichten als Erfolg gelten, dass der jetzige Tarifabschluss an der Goethe-Universität mit dem Abschluss für den hessischen Landesdienst Schritt hält. Während beispielsweise zeitgleich die GDL die Stimmung in der eigenen Belegschaft zu nutzen wusste, um Forderungen wie eine Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen, die strukturelle Probleme am Arbeitsplatz langfristig adressieren kann, begnügen sich GEW und ver.di an der Goethe-Universität neuerlich mit einem Tarifritual, welches eine mobilisierte Belegschaft nur enttäuschen kann.

 

Für die Studentischen Hilfskräfte und Tutor*innen in Hessen sind diese Tarifergebnisse nach wie vor nicht von Belang: Sie sind noch immer nicht Teil des Tarifvertrags. Es gibt zwar eine Neuerung: Die sogenannte „schuldrechtliche Vereinbarung“ – das ist ein etwas merkwürdiges Vertragskonstrukt, das nicht dieselben Sicherheiten und Vorteile wie ein Tarifvertrag bietet. Die schuldrechtliche Vereinbarung regelt: eine Vertragslaufzeit von 12 Monaten im Regelfall, einen Mindeststundenumfang von 40 Stunden im Monat im Regelfall und einen Stundenlohn von mindestens 13,46€ ab April 2024 sowie von 14,20€ ab April 2025.

Während betroffene Arbeitnehmer*innen die Regelungen eines Tarifvertrags selbst einklagen können, hat dieses Recht bei der schuldrechtlichen Vereinbarung nur die Gewerkschaft, die diesen Vertrag mit dem Arbeitgeber abgeschlossen hat – in diesem Fall also ver.di & GEW. Die schuldrechtliche Vereinbarung für Studentische Beschäftigte war bereits Kompromiss beim Tarifabschluss der Länder im TV-L im Dezember 2023. In Hessen haben wir jetzt also den Vorteil, schon auf Praxiserfahrungen von Studentischen Beschäftigten in anderen Bundesländern zurückgreifen zu können, denn dort sollten die Regelungen der schuldrechtlichen Vereinbarung schon angewendet werden.

Es zeigt sich ein Flickenteppich von Beschäftigungsverhältnissen Studentischer Beschäftigter. Denn die konkrete Umsetzung der Schuldrechtlichen Vereinbarung obliegt am Ende den Universitäten, da die Vereinbarung den Arbeitgebern das Schlupfloch des „Regelfalls“ lässt. Ausnahmen dürfen also formuliert werden und dies ist bereits an vielen Universitäten (beispielsweise in Chemnitz und Hamburg). Studentische Beschäftigte sind also nach wie vor der Willkür ihrer Arbeitgeber ausgesetzt.

Es stellt sich die Frage, ob die schuldrechtliche Vereinbarung also zu tatsächlichen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen von Studentischen beschäftigten führen wird oder eher ein Feigenblatt für einen misslungenen Tarifabschluss ist. Aktuell zeichnet sich ab, dass die schuldrechtliche Vereinbarung für die TVStud-Bewegung sowohl de-organisierend als auch des-orientierend wirkt: Nach dem Tarifabschluss gibt es für die meisten lokalen Ortsgruppen keine Perspektive, die über das Sammeln von Vertragsvergehen für die DGB-Gewerkschaften hinausgeht.

Diese Erfahrung zeigt, wie wichtig Basisorganisation und die Stärkung lokaler Strukturen sind. Es gab die größte Mobilisierung und das größte Engagement der Beschäftigten, gewerkschaftsübergreifend, seit über zehn Jahren an der Goethe-Universität. Es bedarf einer Struktur, die dieses Potenzial auch nutzt und standhaft bleibt, um Forderungen durchzusetzen. Die Forderungen nach einem eigenständigen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte sowie einem Tarifvertrag zur Entfristung für administrative und wissenschaftliche Mitarbeiter*innen sind auch nach Abschluss des jetzigen Tarifvertrags erreichbar. Es liegt nun an den Beschäftigten der Goethe-Universität und der Hochschulgewerkschaft unter_bau, dies durchzusetzen. Wir rufen daher alle Beschäftigten dazu auf, ihren Unmut über den Tarifabschluss von ver.di/GEW nicht nur zu äußern, sondern gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen die Universitätsleitung sowie das hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst unter Druck zu setzen, notfalls auch mit dem Mittel des Streiks. Wir betrachten die Stiftungsuniversität als Chance für einen erfolgreichen Arbeitskampf – wir müssen sie nur ergreifen.