How-not-to: “Demokratie” an Hochschulen

How-not-to: “Demokratie” an Hochschulen

Heutzutage gibt es für allesmögliche ein „How To“. Im Internet können wir lernen, wie man Löcher in einer Hose flickt, einen Computer auf Werkeinstellungen zurücksetzt oder ein Go Kart mit dem Motor eines Rasenmähers baut (ernsthaft!). Auch an der Uni ist es modern geworden, „How Tos“ zu erstellen. In Einführungsveranstaltungen erhalten wir zum Beispiel Checklisten für das Verfassen von Hausarbeiten. How Tos eignen sich aber nicht für alle Bereiche. Ein solcher Bereich ist die Demokratie. Es ist bekanntlich umstritten, wie genau demokratische Prozesse und Strukturen auszusehen haben. Oft bietet es sich daher an, sich dem Ziel durch den Ausschluss von Negativbeispielen zu nähern. Im Fall der Demokratie wären das Strukturen oder Phänomene, die gemeinhin als undemokratisch empfunden werden. Im Sinne eines „how-not-to“ können wir aus solchen Fällen lernen, wie Demokratie nicht funktioniert (funktionieren sollte).

Negativbeispiele für demokratische Prozesse gibt es auch an der Goethe-Universität. Heute wollen wir uns einem dieser Beispiele widmen, nämlich der Wahl des_r Präsident_in. Am Mittwoch, den 8. Juli, fand im Senat die Wahl zur neuen Präsidentschaft an der Goethe-Uni statt. Bereits im Vorfeld gab es Kritik am Ablauf der Nominierung. Auch uns erreichten empörte Mails von Universitätsangehörigen. Zuletzt hat z.B. der AStA gefordert, dem Senat in Zukunft mehr Einfluss bei der Nominierung von Kandidat*innen zu geben. Derartige Reaktionen möchten wir zum Anlass nehmen, um auf einige grundsätzliche Missstände bei der Wahl des_r Präsident_in aufmerksam zu machen.

WER STAND ZUR WAHL? 

Am 8. Juli standen Birgitta Wolff (ehemalige Präsidentin) und Enrico Schleiff (ehemaliger Vizepräsident, jetzt designierter Präsident) zur Wahl. Dass nur diese beiden Kandidat_innen zur Wahl standen, hat eine Vorgeschichte – man kann sich nämlich nicht einfach so für das Amt der Präsidentin an der Goethe-Uni wählen lassen.

Letztes Jahr hat der Hochschulrat eine sog. Findungskommission gegründet. Diese besteht aus drei Mitgliedern des Hochschulrats und drei Senator_innen. Die Kommission hat den Posten des_r Präsidenten_in öffentlich ausgeschrieben und Bewerbungen entgegengenommen. Bewerben kann sich prinzipiell jede Person, die jünger als 67 Jahre ist, einen Hochschulabschluss hat und „aufgrund einer mehrjährigen verantwortlichen beruflichen Tätigkeit, […], erwarten lässt, dass sie oder er den Aufgaben des Amtes gewachsen ist“ (§ 39, Abs 1 HHG). Am 10. Juni fand eine hochschulöffentliche Anhörung der Bewerber_innen statt. Daraufhin entschied der Hochschulrat, lediglich zwei der ursprünglich vier Bewerber_innen zur Wahl im Senat zuzulassen. Nun konnte der Senat zwischen den beiden Kandidat_innen eine Wahl treffen.

Auffällig an diesem Prozedere ist zweierlei: Das Präsidialamt wird zwar öffentlich ausgeschrieben, jedoch kann die Findungskommission darüber entscheiden, welche der Bewerber_innen zur öffentlichen Anhörung eingeladen werden (siehe § 33, Abs. 3 der Wahlordnung der Goethe-Universität). Im Klartext heißt das, dass sich zwar theoretisch alle Personen, die die oben genannten Kriterien erfüllen, bewerben können, praktisch jedoch Bewerber_innen auf die Gunst der Findungskommission angewiesen sind. Bei seiner Auswahl soll sich die Findungskommission an den oben genannten Kriterien aus § 39, Abs. 1 des Hessischen Hochschulgesetzes (HHG) orientieren. Diese Kriterien sind aber nicht gerade präzise und lassen daher sehr viel Spielraum. Was genau heißt mehrjährig? Und wodurch zeichnet sich eine „verantwortliche berufliche Tätigkeit“ aus? Übernehmen wir nicht alle Verantwortung in unserem Beruf?  

Das ist jedoch nur die erste Stufe, auf der die Anzahl der Bewerber_innen durch einen sehr kleinen Kreis an Leuten reduziert werden kann. Wie oben bereits angedeutet hat der Hochschulrat nach der öffentlichen Anhörung zwei Bewerber_innen ausgeschlossen. Warum kann er entscheiden, wer tatsächlich zur Wahl steht? Und das nach (!) der öffentlichen Anhörung? Und wer ist dieser Hochschulrat eigentlich? Da die Goethe-Uni halb-privatisiert ist – eine so genannte Stiftungsuniversität – besitzt sie den Hochschulrat als höchstes Aufsichtsgremium, um die Interessen privater und öffentlicher Finanziers der Goethe-Uni zu vertreten. Mitglied im Hochschulrat wird man, in dem man von einem der Leitungsgremien der Universität (Präsidium, Senat etc.) vorgeschlagen und vom hessischen Bildungsministerium abgesegnet wird. Konkret besteht der Hochschulrat aus 11 Personen, die allesamt nicht Angehörige der Goethe-Universität sind. Umso frappierender ist es, dass der Hochschulrat umfassende Kompetenzen bei der Gestaltung der Universität hat. Eine dieser Kompetenzen ist die Entscheidungsgewalt darüber, wen der Senat in das Präsidialamt wählen darf (siehe 9. Abschnitt HHG). 

Der Hochschulrat ist also so etwas wie ein Aufsichtsrat. An der Goethe-Uni soll das, was der Aufsichtsrat vorgibt, dann noch in einer demokratisch anmutenden Abstimmung vom Senat abgenickt werden. Diesem Vorgehen hat sich die (knappe!) Mehrheit der Senator_innen gebeugt. Einige Mitglieder des Senats waren empört über die Entscheidung des Hochschulrats, zwei Bewerber_innen auszuschließen, und haben daher konsequent ungültige Wahlzettel abgegeben. Für dieses Wahlverhalten fand sich jedoch keine Mehrheit, sodass Enrico Schleiff im dritten Wahlgang mit 18 Ja-Stimmen und 16 ungültigen Stimmen gewählt werden konnte. 

Wie wir gesehen haben, müssen Bewerber_innen für das Präsidialamt einige Hürden überwinden, um überhaupt zur Wahl stehen zu können. Doch was genau ist daran problematisch? Der Hochschulrat hat entscheidenden Einfluss darauf, wer zur Wahl zugelassen wird, besteht jedoch selbst nur aus hochschulexternen Personen. Das Vorgehen steht daher im Widerspruch zu dem demokratischen Grundsatz, dass Entscheidungen (und vor allem Wahlentscheidungen) von denjenigen getroffen werden sollten, die von ihnen betroffen sind. Im Fall der Wahl des_r Präsident_in sind dies alle Universitätsangehörigen. Diese werden zwar durch den Senat vertreten. Wie sich jedoch zeigte, wird Senator_innen lediglich die vom Hochschulrat frisierte Wahlliste vorgesetzt. Es ist schlichtweg unklar, weshalb es dieser vorgelagerten Auswahl bedarf. Können nicht die Wahlberechtigten, also die Senator_innen, am besten darüber entscheiden, wer für das Präsidialamt geeignet ist? Zum Vergleich: Wenn in Deutschland ein_e Bundeskanzler_in gewählt wird, gibt es auch keine von der EU eingesetzte Kommission, die erst mal darüber entscheidet, wer eigentlich als Bundeskanzler_in geeignet ist.

WER KANN WÄHLEN? 

Man könnte jetzt annehmen, für eine demokratische Hochschule sei schlicht und ergreifend ein funktionierender Senat als höchstes Gremium an der Goethe-Uni nötig. Dem ist allerdings nicht so, denn beim Senat handelt es sich lediglich um eine Form ständischer Demokratie. 

Der Senat ist anteilig aus den Statusgruppen der Studierenden, des Mittelbaus, der administrativ-technischen Angestellten und der Professor_innen zusammengesetzt. Dabei wählen 47.334 Studierende drei Senator_innen, 3.056 wissenschaftliche Mitarbeitende drei Senator_innen, 2.039 technisch-administrative Mitarbeitende zwei Senator_innen und 580 Professor_innen neun Senator_innen. Ins Verhältnis gesetzt heißt das, dass die Stimme eines_r Professor_in etwa 245 mal so viel zählt wie eine studentische Stimme beziehungsweise etwa 16 mal so viel wie Stimmen aus dem Mittelbau oder von technisch-administrativen Mitarbeitenden. Selbst wenn Studierende, wissenschaftliche Mitarbeitende sowie administrativ-technisch Mitarbeitende Bündnisse schließen, sind sie relativ machtlos. Die Professor_innenschaft stellt nämlich 9 der 17 Mitglieder und ist daher im Zweifelsfall in der Mehrheit.

Statt diesem kruden Mix aus autoritärer Hierarchie mit ständischem Wahlrecht und einem Senat, der sich erstaunlich bereitwillig durch den Hochschulrat entmachten lässt, plädieren wir für eine basisdemokratische Organisation der Hochschule. Ganz im Sinne eines „How-not-to“ ist es uns dabei ein Anliegen, aus konkreten Fehlern zu lernen, und nicht im Sinne eines „How-to“ die perfekte Uni-Struktur an die Wand zu malen. Aus den Ereignissen rund um die Präsidentschaftswahl ergeben sich hierbei einige Mindeststandards. Der Einfluss des Hochschulrats bei der Wahl des Präsidialamts muss eingeschränkt und der des Senats erhöht werden. Der Hochschulrat darf nicht die Rolle des gatekeepers einnehmen und vorab Bewerber_innen aussortieren können. Grundsätzlich können Anliegen der nicht-professoralen Universitätsangehörigen nur dann angemessen vertreten werden, wenn die professorale Mehrheit im Senat abgeschafft wird.

Die Debatte darüber, welchen Einfluss die Interessen des Hochschulrats auf die Goethe-Uni haben und in welchem Verhältnis sie etwa zu Interessen von Beschäftigten und Studierenden stehen, wird uns durch die Amtszeit des neuen Präsidenten Enrico Schleiff begleiten. Was auch immer gelungene Beispiele für demokratische Teilhabe sind, die Präsidentschaftswahl war es auf jeden Fall nicht…