Arbeitsbedingungen während “Corona”: Ein Bericht aus dem Labor.

Arbeitsbedingungen während “Corona”: Ein Bericht aus dem Labor.
COVID-19 Textlabor am Uniklinikum Frankfurt

Die Covid-19-Pandemie prägt derzeit maßgeblich den Alltag aller, jedoch auf ganz unterschiedliche Weise. Um einen Einblick in diese individuellen Perspektiven zu geben, verfassen Mitglieder des unter_bau Beiträge zu neuen Entwicklungen und Problemen, aber auch dem emanzipatorischen Potential, welches die Krise in sich trägt. Der folgende Kommentar stammt von Vera, Mitglied der ProMi-Plattform als wissenschaftliche Mitarbeiter*in und Promovierende in den Biowissenschaften.

Anfang April hat Jona über die Situation von Medizinstudierenden geschrieben.

Wenn du dir vorstellen kannst, selbst über deine Arbeits- oder Studienbedingungen während “Corona” zu berichten, melde dich bei oeffentlichkeitssekretariat [ät] unterbau [punkt] org. Wir unterstützen dich gerne beim Schreiben.


Die Universität ist seit Mitte März bis… wer weiß das schon geschlossen. Politisch hat sich einiges getan in den letzten Wochen. So verkündete Bundesforschungsministerin Anja Karliczek Anfang April zum Beispiel, dass die Höchstbefristungsdauer nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz um 6 Monate verlängert wird, um die Corona-Beeinträchtigungen für Wissenschaftler*innen abzumildern.1 Nur, wäre es nicht sinnvoller gleich einen Schritt weiter zu gehen und auf die Vergabe von unbefristeten Stellen zu setzen? Hätten Wissenschaftler*innen den Kopf nicht sehr viel freier für Forschung, darunter die Entwicklung eines Impfstoffs oder Medikaments gegen Covid-19, wenn sie sich nicht ständig um ihre Folgefinanzierung sorgen müssten?

Aber auch der Arbeitsalltag veränderte sich von heute auf morgen. Für mich als „early career researcher“ bedeuten die derzeitigen Beschränkungen konkret, das Labor, in dem ich normalerweise tätig bin, nur noch für laufende „absolut notwendige“ Experimente betreten zu dürfen. Konkret naja, was ist denn ein absolut notwendiges Experiment und woran wird die Notwendigkeit bemessen? Wenn im Experiment Zellen verwendet werden, für die Versuchstiere gestorben sind – ist dann die Beendigung nach dem 3R-Prinzip (reduce, refine, replace) der Medizinethik, nach dem Wissenschaftler*innen das Ausmaß an Tierexperimenten so gering wie möglich halten sollen, notwendig? Wenn man gerade an Versuchen für ein Paper arbeitet, die fast aber eben nur fast schon signifikante Ergebnisse liefern, und die mit ein bis zwei Wiederholungen dann für die Submission in der Tasche wären – ist das notwendig? Wenn die eigene Stelle befristet ist, und man Angst hat nicht innerhalb der finanzierten Zeit fertig zu werden – ist das notwendig? Und was passiert, wenn man den Versuch als notwendig eingestuft hat, die Institutsleitung das aber anders sieht? Fragen in der ersten Woche des Shutdowns, die in der darauffolgenden Zeit von immer drängenderen Fragen eingeholt, überholt, übertönt wurden.

Und dann sitzt man daheim. Im Home-Office. 14qm in einer WG, am Schreibtisch, ca. 1,20 m vom Bett entfernt, mit einem Fenster durch das eine bis 12 Uhr die Sonne anlacht. Schön eigentlich. In dem man aber ab 14 Uhr das Schreibtischlicht anmachen muss, wenn die Sonne hinter den gegenüberliegenden Häusern verschwindet, da sonst durch die ständige Arbeit am Computer die Augen anfangen zu schmerzen. Nicht dass alles schlecht wäre im Home-Office. Man kann den Tag anfangen und beenden wie es einer beliebt. Man kann so lange im Schlafanzug bleiben, bis man Lust verspürt eine richtige Hose anzuziehen. Man kann arbeiten, was man in der derzeitigen Situation für sinnvoll hält – Bioinformatische Analysen wären das in meinem Fall.

So saß ich zu Beginn des Shutdowns also an meinem Laptop und begann zu programmieren. Äußerst spannend, doch als die ersten komplexeren Programme liefen und ich feststellte, dass diese mit meinem recht alten privaten Laptop einen guten halben Tag dauern würden – pro Teilprogramm – fragte ich mich dann doch, ob die Uni mir als wissenschaftlicher Mitarbeiter*in nicht eigentlich einen Dienstrechner zur Verfügung stellen müsste.2 Auf Nachfrage hieß es diesbezüglich, dass ein Laptop über Drittmittel finanziert werden müsste, da am Institut einige leistungsstarke Rechner vorhanden sind – was natürlich stimmt, nur derzeit ein wenig unpraktisch ist, wenn eben jenes Institut nicht betreten werden soll. Sind also bioinformatische Analysen notwendige Experimente? Und was, wenn eben jener Rechner auch von anderen Promovierenden oder Masterand*innen benötigt wird, da sie momentan genauso wenig praktisch arbeiten dürfen?

Wäre die Uni nicht geschlossen worden, hätte ich ab Mitte April zwei Praktikant*innen für ein Blockpraktikum im Labor betreut, eine recht gängige Lehrform in den Natur- und insbesondere Lebenswissenschaften. Zu den Fragen ob, wann und wie dieses Praktikum stattfinden wird, gab es bis zuletzt einige Verwirrung. Von Seiten der Universitätsleitung bekam meine Chefin am 5. April die Information aus dem Präsidium, dass das Praktikum – wie zu erwarten – nicht in der Form wird stattfinden können. Stattdessen sollten „alternative Lehrformen“ entwickelt werden. Wenn das nicht möglich wäre, müsste die Lehrveranstaltung verschoben werden. Dabei sollte den Studierenden aber auf keinen Fall ein Nachteil entstehen, so sollten sie zum Beispiel nicht durch das veränderte Lehrangebot dazu gezwungen werden ihr Studium zu verlängern, zudem sollte die Qualität der Lehre nicht darunter leiden. Präparieren alternativ aus einem Buch oder Zoom-Meeting zu lernen, stelle ich mir etwas schwierig vor, dafür muss man Skalpell und Pinzette schwingen. Optimale Wachstumsbedingungen für Zellkulturen kann man natürlich aus dem Buch lernen, aber richtig verstanden werden sie meiner Ansicht nach am besten durch ausprobieren, Fehler machen und knobeln, was falsch gelaufen sein könnte. Wissenschaft – das ist Fragen stellen, sich den Kopf zermartern, diskutieren und Antworten finden, die bisherige Konzepte über den Haufen werfen. Ob „alternative Lehrmethoden“ den Raum für den hierfür notwendigen Austausch öffnen, bleibt abzuwarten. Dass das Präsidium von den Lehrenden erwartet, die Studierenden nicht unter der Situation leiden zu lassen, ist natürlich ein sehr guter und unterstützenswerter Ansatz. Die Verantwortung für diesen Balanceakt aber auf die Lehrenden abzuschieben ist politisch – sagen wir – schwierig.

Als Alternative zum Präsenzpraktikum kam im Falle unseres Labors bioinformatische Auswertung als digitale Lehre ins Gespräch – nicht ganz, was Studierende in einem Molekulargenetischen Labor erwarten, aber durchaus auch spannend und inhaltlich ein guter Kompromiss. Dabei stellte sich aber wieder die Frage, von welchem PC aus ich dafür denn arbeiten könnte, war zu dem Zeitpunkt, als die Entscheidung getroffen werden sollte, noch nicht klar, ob und wann das Institut wieder betreten werden dürfte, sodass ich an den hierfür notwendigen leistungsstarken Rechner käme. Mein privater Laptop würde zur Not natürlich auch gehen, aber kann man von Lehrenden erwarten, ihre privaten Rechner zur Lehre zu verwenden? Und was, wenn die Studierenden keine Laptops, Kameras oder Mikrophone haben, Windows oder Mac anstatt Linux nutzen? Wer müsste dann schnell umrüsten und sich in das fremde Betriebssystem einarbeiten? Was, wenn ihre Laptops, wie mein privater, nur 4 Kerne haben, und sie dadurch nur schwer mit großen Datenmengen arbeiten können? Frustrationstoleranz würden sie jedenfalls lernen, beim Däumchen drehen, während der Laptop sich damit abmüht das Spreadsheet mit 98.000 Zeilen und 40 Spalten zu öffnen, nebst Online-Tools und einem Python-Skript zur Bearbeitung. Frustrationstoleranz ist eine wichtige Charaktereigenschaft für Wissenschaftler*innen, wäre das also den Qualitätsstandards der GU entsprechende Lehre? Ich denke doch eher weniger.

Im Fall unseres Labors fiel die Entscheidung schlussendlich auf ein Verschieben des Praktikums ans Ende des Sommersemesters – in eine Zeit, zu der ich nicht mehr über durch meine Chefin eingeworbene Drittmittel, sondern durch ein selbst eingeworbenes Stipendium finanziert sein werde. Notwendig, da eben jene Drittmittel – wie bei so vielen Kolleg*innen – nicht für eine volle Promotion ausreichen. Ein Stipendium, das ein wenig bezahlte Lehre nebenher toleriert, selbst aber kein Lehrkontingent beinhaltet. Im Herbst werde ich dann also vor der Entscheidung stehen, meine Chefin, die mich in vielen Bereichen in höchstem Maße unterstützt hat, „hängen zu lassen“ – denn wer sonst außer uns Doktorand*innen sollte in einem durch Drittmittel finanzierten Labor die Lehre machen – indem ich mich weigere das Praktikum zu betreuen. Damit würde ich definitiv unser bis dato gutes Verhältnis gefährden. Um dem zu entgehen, könnte ich natürlich auch – entgegen der Empfehlung meiner Stipendiumsgeber*innen unbezahlt – das Praktikum betreuen. Normalität könnte man diese Praxis nennen in einer durch Drittmittel finanzierten Universität, Ausbeutung wäre aber der zutreffendere Begriff. Nicht gerade eine Entscheidung, der ich freudig entgegensehe.

Und damit zur aktuellen Situation. Anfang April erreichte unser Institut eine Hilfsanfrage aus der Virologie, die nach Personal „mit Laborerfahrung und ohne Angst vor Viren“ suchten, um im neu eingerichteten Covid-19-Testlabor des Unikilinikums kurzfristig auszuhelfen. Da wir methodisch – wenn auch nicht so sehr inhaltlich – recht nahe dran sind und wir zumindest nur mit Einschränkungen an unseren Projekten arbeiten konnten, erklärten einige Doktorand*innen und Technische Assistent*innen aus unserem Institut sich gerne bereit mitzuhelfen. Peu á peu wurden wir in die Routine eingearbeitet, in meinem Fall von Kolleg*innen, die selbst erst seit einem Tag bis einer knappen Woche dabei gewesen waren. Nicht weiter schlimm, der Testablauf ist wirklich denkbar einfach, würde nur das vollautomatische Analysegerät rundlaufen. Würden Kolleg*innen eingestellt werden und in jeder Schicht mitarbeiten, die richtig in das Gerät und die Behebung von Störungen eingearbeitet wurden. Würde die Kommunikation zu Änderungen der Arbeitsabläufe oder des Schichtplans nicht über eine WhatsApp-Gruppe laufen.

Anfangsschwierigkeiten in einer akuten Krisensituation, dachte ich. Nun ist die Krisensituation zwar nicht mehr ganz so akut wie noch vor wenigen Wochen, es werden aber zunehmend Stimmen in der Politik lauter man müsse viel mehr testen, die Kapazitäten seien dafür vorhanden.3 Ich weiß nicht, wo diese Kapazitäten genau vorhanden sind, in unserem Labor sieht es allerdings nicht gerade danach aus. Ja, es gibt sehr motivierte Wissenschaftler*innen, die es gewohnt sind selbstorganisiert zu arbeiten, Medizin-Studierende, die – unbezahlt – aushelfen, um Stunden für ihre Famulatur zu sammeln, und unterstützende Administrativ-technische Angestellte. Aber alle Kolleg*innen machen diese Arbeit zusätzlich zu ihren eigentlichen Jobs. Es wird zwar momentan diskutiert, ob die geleisteten Stunden monetär kompensiert werden, aber Details oder wann es zu einer Entscheidung kommen soll, sind bis dato nicht bekannt. Auch ob dabei die jeweiligen Arbeitsverträge (bei uns Promovierenden wird oft nur 50 bis 65% der klassischen 40-Stunden-Woche bezahlt, gearbeitet wird oft noch deutlich mehr), Wechsel-,Wochenend- und Feiertagsschichten bedacht werden, steht noch in den Sternen. Wie mit Überstunden und Mehrarbeit umgegangen wird, denn oft sind unter der Woche zum Schichtende um 22 Uhr noch bei weitem nicht alle Proben abgearbeitet, und da es sich bei den Kolleg*innen um sehr motivierte Individuen handelt, wird häufig bis 22:45 Uhr oder später weitergearbeitet – wie man es eben so macht, wenn das Experiment nicht fertig ist. Nur, dass es sich eben nicht um die Experimente handelt, für die man eigentlich bezahlt wird. Einige, nein, fast alle Kolleg*innen sind über projektgebundene Drittmittel finanziert, daher stellt sich ihnen nun die Frage, ob sie diese Projekte pausieren können oder sollten. Dass dies möglich wäre, insbesondere wenn in der Krisensituation ausgeholfen wird, wurde zum Beispiel von der Deutschen Forschungsgemeinschaft angekündigt.4

Auf die Nachfrage, wie hoch der derzeitige Bedarf sei und in wie viele Schichten man sich eintragen solle, kam die Antwort, mindestens 2-3 Schichten á 8 Stunden am Stück wären gut, um Routine im Arbeitsablauf zu bekommen, man müsse aber natürlich selbst entscheiden, wie viel man helfen könne und wolle. Bei der Informationslage eher schwierig, diese Entscheidung zu treffen. Bisher tragen wir uns also nach bestem Wissen und Gewissen in die Schichtpläne ein, und es passiert, was zu erwarten war: einige Menschen arbeiten 12 Tage am Stück, andere haben wichtige Experimente für ihre eigentlichen Projekte oder sind nicht schnell genug dran mit dem Eintragen und aufgrund unklarer Kommunikationswege tauschen sie dann wild hin und her und am Ende entsteht ein großes Tohuwabohu. Die geleisteten Stunden werden auf einem Zettel an der Labortüre eingetragen, ob der wohl am Ende für die Berechnung der in Aussicht gestellten Kompensation genutzt wird? Natürlich könnten die Arbeitseinsätze eingestellt werden, aber damit würden die Probleme nur an die nächsten es gut meinenden Kolleg*innen weitergereicht. Denn die Reservearmee an ausbeutbaren Wissenschaftler*innen ist gar groß.

Das Geschlechterverhältnis in der aktuellen Laborbesetzung steht übrigens 3:1 (Frauen* zu Männern). Ob das Zufall ist? Oder eher Ausdruck davon, wer innerhalb der universitären Hierarchien ein Mehr an prekärer Arbeit leistet bzw. sich von einem solchen Hilfsgesuch angesprochen fühlt?

Dass das Labor trotzdem läuft und wenig gegen die doch recht befremdlichen Arbeitsverhältnisse gesagt wird, erstaunt mich ehrlich gesagt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass Wissenschaftler*innen es aufgrund der strukturellen Probleme der neoliberalen Universität einfach schon gewohnt sind und Arbeitskampf nicht auf ihrer Agenda steht. Außerdem, gegen wen sollte man denn überhaupt Arbeitskampf führen? Gegen die leitenden Professor*innen, die regelmäßig im Labor vorbeikommen, allen für ihren Einsatz danken und zu jeder Tages- und Nachtzeit entweder in der Uni oder telefonisch für Fragen erreichbar sind? Gegen die Organisator*innen des Schichtplans, die diese Arbeit zusätzlich zu ihrem eigentlichen Job machen? Klar ist allerdings, dass jeder Covid-19-Test Geld kostet, der von Krankenkasse, Gesundheitsamt oder privat bezahlt wird. Ich frage mich nur dies: Where does the money go?

Selbstorganisiertes Arbeiten ist eine hervorragende Sache, nur ist es noch hervorragender, dafür auch bezahlt zu werden, für Medizin-Studierende, die wie volle Arbeitskräfte mitarbeiten, für über externe projektgebundene Mittel Finanzierte, für Administrativ-technische Angestellte. Für alle eben.

Um die derzeitige Situation aus meiner Position als Promovierende zusammenzufassen: ich habe das Gefühl zwischen den Stühlen zu sitzen. Zwischen der eigenen psychischen und physischen Gesundheit, der Verantwortung meiner Arbeitsgruppe und Professorin gegenüber, der DFG als meiner derzeitigen Geldgeberin, der aus der Situation erwachsenden notwendigen politischen Arbeit und der gesellschaftlichen Verantwortung als Wissenschaftler*in.


1: https://www.bmbf.de/de/karliczek-wir-mildern-die-corona-beeintraechtigungen-fuer-studierende-und-wissenschaft-ab-11331.html, Stand 08.04.2020

2: https://www.fr.de/corona-sprechstunde/corona-sprechstunde-experte-gibt-ratschlaege-tipps-arbeitsrecht-homeoffice-kurzarbeit-13632822.html, Stand 27.04.2020

3: https://www.tagesschau.de/inland/rki-coronavirus-109.html, Stand 24.04.2020

4: https://www.dfg.de/download/pdf/presse/download/20200318_schreiben_an_alle_gefoerderten.pdf, Stand 17.03.2020