„Medizinstudierende sollen keinen Nachteil haben“ – Kommentar zur Gesetzesänderung des Bundesministeriums für Gesundheit

„Medizinstudierende sollen keinen Nachteil haben“ – Kommentar zur Gesetzesänderung des Bundesministeriums für Gesundheit
Uniklinik Frankfurt, Foto: photoheuristic.info/flickr CC BY

Finden meine Prüfungen in wenigen Wochen statt? Wie stark wird meine Lernbelastung aufgrund der Corona-Krise steigen? Muss ich vorgezogen ins PJ? Mit solchen und anderen Unsicherheiten müssen sich Medizinstudierende zur Zeit auseinandersetzen. Medizinstudent und unter_bau Mitglied Jona hat dazu einen Kommentar geschrieben.


Jens Spahn: „Medizinstudierende sollen keinen Nachteil haben, wenn sie bei der Bekämpfung von Covid-19 mithelfen.“1

Die aktuelle Corona-Krise hat natürlich auch Auswirkungen auf den Ablauf des Medizinstudiums. Am 01. April ist die neue „Verordnung zur Abweichung von der Approbationsordnung für Ärzte bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“2 in Kraft getreten. Die Grundlage dazu ist das neu gefasste Infektionsschutzgesetz. Unter anderem wurden neue gesetzliche Rahmen für die Durchführung und Anrechnung von Praktika und Famulaturen festgelegt. Am stärksten betreffen diese Änderungen die Staatsexamina (M1, M2, M3) und das Praktische Jahr (PJ) – ein einjähriges „Praktikum“ im Krankenhaus, das in drei Blöcken stattfindet. Zum PJ gehört auch das frei wählbare Wahltertial, in dem sich Studierende auf das medizinische Spezialgebiet vorbereiten können, das sie in ihrem späteren Berufsleben verfolgen möchten.

So wie ich haben sich viele Kommiliton_innen seit mehreren Monaten auf das zweite Staatsexamen (M2) vorbereitet. Das soll eigentlich vom 15.-17. April stattfinden – also in zwei Wochen. Seit Beginn der Corona-Pandemie war fraglich, ob das Staatsexamen überhaupt geschrieben werden kann. Das neue Gesetz versprach, eine bundeseinheitliche Lösung zu finden und für die Examenskandidat_innen, Prüfungsämter und Fakultäten endlich Klarheit zu schaffen. Leider ist das nicht passiert: Die Entscheidungskompetenz wurde zurück an die Länder gegeben. Klar geregelt ist also weiterhin nichts, während der Prüfungstermin immer näher rückt. Die einzelnen Bundesländer müssen nun selbst entscheiden, ob sie die Prüfung und den PJ-Start im Mai regulär stattfinden lassen oder sich auf die „neue” Lösung des Bundesgesundheitsministeriums einlassen. Demnach wird das M2-Examen auf April 2021 verschoben, dafür wird der Beginn des PJ auf den 20. April 2020 vorgezogen. In letzterem Fall wird das PJ um drei Wochen verkürzt, wodurch mehr Vorbereitungszeit für das Examen gewährt werden soll – das heißt, Examenskandidat_innen hätten dann sechs Wochen anstatt der üblichen 100 Tage Zeit, sich vorzubereiten. Die Universitäten haben zudem die Möglichkeit, Studierende abweichend ihrer eigentlichen Einteilung (besonders im Wahltertial) nach Bedarf in der Gesundheitsversorgung einzusetzen.

Richtig ist, dass „somit insgesamt keine wesentlichen Nachteile im Studienablauf“3 entstehen – soll heißen, dass zumindest die aktuelle Examenskohorte wie geplant im Frühjahr 2021 das Studium abschließen kann. Der Weg dahin ist dank der neuen Verordnung dafür umso nachteiliger geworden, wie unter anderem die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland und der Marburger Bund bereits am ersten Gesetzesentwurf kritisiert haben.4 Abgesehen von der Unsicherheit, immer noch nicht zu wissen, ob in Frankfurt in zwei Wochen Examen geschrieben werden oder wir ins PJ starten müssen, fehlt es an jeglicher Planungssicherheit. So wie ich haben auch viele andere Tertiale an anderen Universitäten oder im Ausland geplant und damit Umzüge, Kinderbetreuung, etc. vorbereitet. Eine solche Mobilität wird zukünftig nur noch zwischen Bundesländern möglich sein, die sich für denselben PJ-Start entschieden haben. Lehre und Ausbildung wird mit großer Wahrscheinlichkeit im nächsten Jahr aufgrund der Pandemie noch geringer ausfallen, als sie es vielerorts bereits unter regulären Bedingungen ist. Die Aussicht, dass das Wahltertial, das für viele ein Einstieg in das spätere berufliche Fachgebiet bietet, fremdbestimmt werden kann, schmälert die Ausbildungsqualität noch dazu. Wenn ich mir dann noch vorstelle, nach einem intensiven Arbeitsjahr im PJ ohne angemessene Vergütung, mich innerhalb von sechs Wochen erneut auf das Staatsexamen vorbereiten zu müssen, vergeht mir persönlich die Lust, unter diesen Umständen überhaupt ins PJ zu starten. Zumal die Examensinhalte im April 2021 nochmals verändert werden und ich dadurch zusätzlich vor einer veränderten Prüfungssituation stehe.

Mit Blick auf die Lage der M2-Examenskandidat_innen, frage ich mich, was Jens Spahn mit „keinen Nachteil“ meint – auch für die Studierenden, die das M1- und M3-Examen in den kommenden Monaten ablegen sollen, ist die Lage nicht viel klarer. Ich kann nur hoffen, dass die Studiengangsverantwortlichen an der Goethe-Universität sich gerade auf Landesebene im Sinne der Studierenden für eine reguläre Durchführung des M2 und des PJ einsetzen, wie es auch die medizinischen Fachschaften aus Frankfurt und Marburg in einem offen Brief an Volker Bouffier fordern.5 Sollte sich dennoch das Land Hessen für eine Umsetzung nach der neuen Verordnung entscheiden, wäre die Wiedereinführung eines freien Studientages pro Woche an den Lehrkrankenhäusern eine Möglichkeit, die Mehrbelastung zu reduzieren.


Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland hat eine Petition für faire Bedingungen im Praktischen Jahr und für die Staatsexamina im Medizinstudium gestartet, die wir sehr gerne bewerben:

https://www.openpetition.de/petition/online/faire-bedingungen-fuer-praktisches-jahr-und-staatsexamina-im-medizinstudium-in-der-covid-19-pandemie


Redaktionelle Anmerkungen (05.04.2020): Mittlerweile wurde entschieden, dass das M2-Examen sowie das PJ in allen Bundesländern außer in Bayern und Baden-Württemberg regulär durchgeführt wird.
3 ebd. S.1