Warum soll ich im Studium einer Gewerkschaft beitreten? Warum es Sinn ergibt sich zu organisieren.

Es klingt erst einmal kontraintuitiv, sich als Student*in in einer Gewerkschaft zu organisieren. Gewerkschaften treten im deutschsprachigen Raum vor allem als tarifpolitische Akteur*innen auf. Das bedeutet, sie handeln mit den Arbeitgeber*innen die Bedingungen aus, unter denen die Arbeitnehmer*innen in einer Sparte ausgebildet werden und für ihre Betriebe arbeiten. Dies wird dann in einem Vertrag mit der Arbeitgeber*innenseite festgehalten. Oftmals dreht es sich dabei um Lohnerhöhungen, Lohngruppierungen, Vertragslaufzeiten, Urlaubsanspruch, Weihnachtsgeld, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – um nur einige Beispiele zu nennen.

[1.] Was das mit dem Studium zu tun hat, zeigt sich vielleicht am deutlichsten am Lehramtsstudium. Die Kommiliton*innen werden hier für ihre spätere Lohnarbeit in den Schulen ausgebildet. Und es macht natürlich Sinn, bereits hier bei den Bedingungen, unter denen später gearbeitet werden soll, mitbestimmen zu können. Vor allem wenn man bedenkt, dass Lehrer*innen mittlerweile oftmals nur noch Jahresverträge bekommen und in den Sommerferien sich regelmäßig beim Arbeitsamt arbeitslos melden dürfen. Aber auch andersherum: Wenn die gewünschten Seminare an der Universität überfüllt sind oder man noch nicht einmal einen Platz bekommt, scheint eine vernünftige Vorbereitung auf die spätere Arbeitsstelle in weite Ferne zu rücken.

[2.] Unter dieser Perspektive kann man auch die restlichen Studiengänge betrachten. Auch hier sind die Bedingungen, unter denen studiert wird, eine Vorbereitung oder Ausbildung dafür, qualifizierte Lohnarbeit zu leisten – sei es in der Wirtschaft im sozialen Bereich oder auch in der Forschung und Lehre. Mitbestimmungsrechte über die eigenen Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse zu erstreiten, ist gewerkschaftliches Kerngeschäft. Gewerkschaften können hier den notwendigen organisatorischen Rückhalt bieten, um die eigenen Ausbildungsverhältnisse zu verbessern und die vorhandenen Spielräume auszuschöpfen. Und jetzt mal ehrlich: Sogar der Gesetzgeber erkennt an, dass es sich beim Studium um eine Ausbildung handelt, wenn er das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) an Studierende auszahlt. Warum sollten wir als Studierende dies dann nicht auch so sehen und uns in Gewerkschaften organisieren?

Im unter_bau widmet sich bereits der Arbeitskreis (AK) Studienbedingungen dem Versuch, Verbesserungen im Studium so einzufordern, dass nachgefragte Kurse häufiger angeboten werden und gleichzeitig bessere Betreuungsschlüssel in den Seminaren zu erstreiten. Dabei gilt es jedoch nicht in die Falle zu tappen: Denn Teilnehmer*innenbeschränkte Kurse, bei denen nur einige wenige mitmachen können oder sogar ein Numerus Clausus, der viele bereits vor dem Studium ausschließt, sind nicht die Lösung. Es gilt weiterhin: Es gibt nicht zu viele Studierende, sondern zu wenig Lehrende.

[3.] Auch für diejenigen, die im universitären Betrieb ihr Glück versuchen wollen, hat die schlechte Betreuungssituation in vielen Seminaren negative Auswirkungen auf die eigene wissenschaftliche Ausbildung. Für eine Nachbesprechung der Hausarbeiten oder eine permanente Betreuung bleibt in der unternehmerischen Hochschule keine Zeit. Dies ist vor allem auch für diejenigen von Belang, die kein akademisch geprägtes Netzwerk haben, was dies auffangen könnte. Hier werden bereits im Studium die Weichen dafür gelegt, wer einen der umkämpften Masterplätze oder Promotionsstellen ergattern kann und wer eben nicht. Auch hier kann man entweder die Ellenbogen ausfahren und hoffen, dass man ohne Burnout durchkommt oder man kann versuchen, systematische Verbesserungen in organisierten Zusammenhängen durchzusetzen. Die Studienbedingungen von heute sind dabei die Lehrbedingungen von morgen. Höchste Zeit, statusübergreifend zu denken und zusammen mit den Promovierenden und wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen zu agieren. Der unter_bau mit seinem assoziativen Konzept ist der Versuch eben dies möglich zu machen.

[4.] Viele Studierende müssen sich auch bereits während des Studiums den Semesterbeitrag, die Miete und natürlich die eigene Existenz durch Lohnarbeit erarbeiten. Natürlich sollte universitäre Bildung kostenfrei sein. Real ist sie dies jedoch eben nicht. Außerdem steht der Zombie „allgemeine Studiengebühren“ mit der schwarz-gelben Koalition in Nordrhein-Westfalen und den rassistischen Studiengebühren in Baden-Württemberg demnächst auch in Hessen wieder vor der Tür. Dies dürfte bei vielen Studierenden dazu führen, dass sie noch mehr Zeit in Lohnarbeit statt in das eigene Studium stecken müssen. Ein BWL-Studium, bei dem die Studierenden maximal neun Semester studieren dürfen (Höchststudienzeit), kann dann nur noch mit Hilfe von Krediten oder der Eltern absolviert werden. Es lohnt sich also ganz real entweder das eigene Einkommen pro Stunde zu erhöhen oder die Kosten des Studiums zu drücken. Das bedeutet eben dann am eigenen Arbeitsplatz Verbesserungen durchzusetzen und Pläne zu entwerfen, um die allgemeinen Studiengebühren zu verhindern.

Bei der Senkung der Kosten für das eigene Studium gibt es jedoch noch andere relevante Akteur*innen, die in den Blick genommen werden können. Während die Studierendenzahlen steigen, stagniert die Finanzierung der Studenten[sic!] Werke durch die Länder seit Jahren. Dies hat zur Folge, dass die Mietpreise für Wohnheime steigen und der Neubau weiterer Wohnheime ins Stocken gerät.[1] Dass hier mit gewerkschaftlichen Mitteln vorgegangen werden kann, zeigen die rent strikes der Studierenden in London.[2] Und warum nicht die städtische Wohngesellschaft ABG gleich mitdenken? Eine basisdemokratische Wohnraumgewerkschaft wäre innovativ. Aber mit einer Organisation im Rücken durchaus realisierbar. Ein kollektives Vertretungsrecht im Mietrecht einzufordern, wäre Politik am Zahn der Zeit.[3] Die Reproduktionsbedingungen zum gewerkschaftlichen Kampffeld zu erklären, wäre die Möglichkeit dem Organisierungsgrad kräftig zu erhöhen und dabei ganz nebenbei noch die Lebensbedingungen der Menschen konkret zu verbessern.

[5.] Studentische Mitarbeiter*innen sind oftmals mit vielschichtigen Problemen konfrontiert. Zunächst sind ihre Verträge (wenn überhaupt) auf sechs Monate befristet. Dies führt dazu, dass einige Stellen, wie beispielsweise Tutorien, nur in einem der beiden Semester im Fachbereich angeboten werden und dann teilweise auch nur im Semester bezahlt werden. Im anderen Semester oder in den Semesterferien müssen sich die Hilfskräfte dann eine andere Beschäftigung suchen.

Die Befristung bereitet aber auch bei „Daueraufgaben“ so ihre Probleme. Die Unsicherheit, ob mein*e Professor*in mich auch im nächsten Semester noch übernimmt, kann einen schon beunruhigen. Vor allem, weil er*sie auch gar nicht Bescheid geben und keine Gründe anführen muss. Das wäre mit längeren Verträgen anders. Eine Kündigung würde einen Grund benötigen und es gäbe eine Kündigungsfrist. Außerdem kann man die Kündigung auch rechtlich anfechten. Das funktioniert leider nicht, wenn der Vertrag ausläuft. Als Argument wird hier oftmals angeführt, dass die Finanzierung durch Drittmittel eben nur befristete Stellen zuließe.

Gemessen daran, dass die Unileitung diese Finanzierungsform weiter forciert und als Stiftungsuniversität diese Faktenlage selbst mit geschaffen hatte, kann dies als etwas kurios bezeichnet werden. Aber sei es drum, wenn sich die Hilfskräfte gut organisieren, muss die Unileitung eben schauen, wie sie die Verbesserungen unterbringen kann, die gefordert werden. So funktioniert eben Interessenvertretung. Ach ja, in Berlin sind die Verträge der studentischen Mitarbeiter*innen auf mind. 24 Monate befristet. Hier scheint es ja auch irgendwie zu gehen. Eben mit einem Tarifvertrag.

Die Position der studentischen Mitarbeiter*innen, wird jedoch nicht besser dadurch, dass sie in Hessen nicht vom Betriebsrat der Hochschule vertreten werden, ihn nicht mitwählen können und es keine studentischen Betriebsratsvertreter*innen gibt. Betriebsräte sind die Interessenvertretung der Arbeitnehmer*innen innerhalb eines Betriebs gegenüber dem Arbeitgeber. Sie werden gewählt und sind dann freigestellt von der Arbeit. So haben sie die nötige Zeit, die Interessen der Arbeitnehmer*innen vertreten. Sie können zu Mitarbeitergesprächen mit hinzugezogen werden, haben Mitspracherecht bei Veränderungen an der Arbeitsstruktur und können sogar Kündigungen blockieren. Von der Vertretung durch den Betriebsrat ausgeschlossen zu sein, hat also konkrete Auswirkungen auf deine Möglichkeiten am Arbeitsplatz. GEW und ver.di konnten in den Tarifauseinandersetzungen in Berlin eben auf einen solchen studentischen Betriebsrat beim Organising und bei der Streikplanung zurückgreifen. Höchste Zeit also auch in Frankfurt a. M. einen studentischen Betriebsrat einzufordern. Gewerkschaften sind diejenigen Akteure, die historisch Betriebsräte erstritten haben. Also auf geht´s!

Ausgeschlossen sind studentische Mitarbeiter*innen auch vom Tarifvertrag, der für die Angestellten der Universität gilt, die noch nicht ausgelagert wurden. In Tarifverträgen werden – wie bereits oben erwähnt – Lohn, Urlaub, Länge der Befristungen, Befristungsgrenzen und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall über die gesetzliche Grundabsicherung hinaus vereinbart. 2016 konnte die Hilfskraft-Initiative an der Goethe-Universität mit ihrer Kampagne für einen Tarifvertrag für Hilfskräfte leider nur eine Selbstverpflichtung der Universität erreichen.[4] Neben dem Umstand, dass die Formulierungen sowieso schwammig gehalten sind, kann diese Selbstverpflichtung im Gegensatz zu einem Tarifvertrag nicht rechtlich eingefordert werden. Mit Pflicht ist es hier also nicht besonders weit.

In einem Tarifvertrag könnte man auch die Unterscheidung von studentischen Hilfskräften mit und ohne B.A.-Abschluss kippen. Real führt diese Unterscheidung oftmals einfach nur dazu, dass Hilfskräfte mit B.A.-Abschluss zwar besser bezahlt werden pro Stunde, da jedoch für die Stelle ohnehin nicht mehr Geld vorhanden ist, wird einfach die Annahme herangezogen, diese würden effektiver arbeiten und daher weniger Zeit benötigen. Also mehr Arbeit in weniger Zeit bei gleichem Entgelt. Da nützt einem auch der bessere Abschluss eigentlich nichts. Eine Angleichung des Lohns aller studentischen Hilfskräfte auf den der Hilfskräfte mit B.A.-Abschluss und eine realistische Ausgestaltung der Stundenkontingente müssen daher zentrale Forderungen der Hilfskräfte sein.

Außerdem können hier die Lohnsteigerungen an die der anderen Statusgruppen angekoppelt werden. In Berlin haben die studentischen Hilfskräfte seit langem einen Tarifvertrag. Hier haben die Kolleg*innen sich gerade diese Ankopplung erstritten, weil sie davor 17 Jahren keine Lohnanpassung hatten.[5] Wir sehen hier also: Auch bei Tarifverträgen gibt es keine Garantie, dass diese weiter verbessert werden und dass es eine gewerkschaftliche Organisation benötigt, diese Verbesserungen sicherzustellen. Einer Selbstverpflichtung sollte man jedoch auf jeden Fall misstrauen.

Die Ankopplung hat jedoch auch einen strategischen Vorteil. Durch sie können die Hilfskräfte in Berlin beim nächsten Mal mit den anderen Statusgruppen zusammen agieren und so mehr Streikmasse in die Tarifauseinandersetzungen bringen. Im unter_bau basteln wir gerade an einer schlagkräftigen Studierenden- und Hilfskräfte-Gewerkschaft, die genau eine solche Ankopplung erringen könnte, um dann im nächsten Schritt mit den anderen Statusgruppen-Teilgewerkschaften und damit mit erhöhter Schlagkraft gemeinsame Verbesserungen der Arbeits-, Lehr- und Studienbedingungen durchzusetzen.

[5] Die Lebenswelt von Studierenden besteht jedoch nicht nur aus den Arbeits-, Miet- und Studienbedingungen. Diese vermengen sich sowohl in Strukturen als auch im konkreten Alltag mit Diskriminierung anhand von Geschlecht, vermeintlicher Herkunft oder sexueller Orientierung. Im Alltag oder am Arbeitsplatz nicht ernst genommen zu werden, schlechte Sprüche abzubekommen, diskriminiert, ausgeschlossen oder übergriffig behandelt zu werden, führt häufig zu einer Individualisierung derjenigen, welche die Diskriminierung ertragen mussten. Wie diese (klassisch eher im politischen Bereich angesiedelten) Kämpfe und Gewerkschaftskämpfe zusammengehen können, zeigt der Generalstreik der Frauen am 08.03.18 in Spanien. Hier führte die Zusammenarbeit von feministischen Gruppen und Basisgewerkschaften zur Forderung nach einem 8-Stunden-Streik. Nachdem etliche Bürgermeister*innen ihre Solidarität bekundeten und die sozialdemokratischen Gewerkschaften einen 2-Stunden-Ausstand befürworteten, beteiligten sich letztlich ca. 5 Millionen Menschen an den Streiks und Demonstrationen.[6] Unter_bau könnte auch hier der organisatorische Rückhalt sein, um mit gewerkschaftlichen Methoden politische Kämpfe auszutragen.


[1] Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (2014): Studentische Beiträge zu den Studierendenwerken, o.V., Berlin.

[2] Taylor, Diane: University students across London take part in rent strike, in: The Guardian, 06.05.2016. Online: https://www.theguardian.com/education/2016/may/06/university-students-across-london-take-part-in-rent-strike

[3] Konun, Ferdi: Auf ein neues Level. Die Idee der gewerkschaftlichen Sozialorganisation. Uberlegungen und Thesen zur Mieterorganisierung, 27.05.2012, in Direkte Aktion. Anarchosyndikalistische Zeitung, Halle (Saale). Online: https://direkteaktion.org/211-gewerkschaft-als-mieterorganisation/

[4] Autonomes Hilfskräftereferat Frankfurt: Stellungnahme der Hilfskräfte-Initiative zum Scheitern der Tarifverhandlungen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Frankfurt Main: 2016. Online: http://hiwis.tumblr.com

[5] TV Stud: Forderungen. Was wir fordern – Warum wir es fordern. Das TV Stud III Positionspapier, Berlin: 2017. Online: https://tvstud.berlin/forderungen/

[6] Coppens, Julian u. Nichols Dick: „Wenn wir streiken, steht die Welt still“ – Wie der Spanische Frauenstreik zum Erfolg wurde, in: Luxemburg: Gesellschaftsanalyse und linke Praxis, Juni 2018. Online: https://www.zeitschrift-luxemburg.de/wenn-wir-streiken-steht-die-welt-still/


Timo Schmidt
Mitglied der Gewerkschaft unter_bau und Referent für Hilfskräfte AStA Goethe-Universität Frankfurt.
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