“Es gibt keine neutrale Gestaltung”

“Es gibt keine neutrale Gestaltung”

Bericht zum Rundgang der Hochschule für Gestaltung Offenbach (2018) und Interview mit Felix Kosok, Mitarbeiter und Promovend an der HfG.

 

Vom 6. bis 8. Juli fand der alljährliche Rundgang der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach statt. Und man verspürte hier vor allem die Tendenz, die in der Kunstszene bereits im letzten Jahr mit der documenta 14 und der Venedig-Biennale eingeleitet wurde: Immer größere Aufmerksamkeit scheint dabei der Politisierung der Kunst, beziehungsweise der Ästhetisierung der Politik zuzukommen. So zeigte sich auch, dass einige der ausgestellten Werke der HfG-Studierenden gesellschaftskritische Aspekte aufgriffen, um sie in die gestalterische Praxis zu überführen.

Neben der Performance »Du weißt doch, wie es gemeint ist« von Katharina Hantke, in der die geschlechtliche Diskriminierung an der Kunsthochschule selbst zum Thema gemacht wurde und die dafür mit dem Preis für Awareness und Empowerment des Gleichstellungsreferats des AStA der HfG ausgezeichnet wurde, waren für uns besonders die Ergebnisse des von Felix Kosok gegebenen Seminars »Design und Demokratie« von besonderem Interesse. In diesem wurde auch der unter_bau thematisiert. Als Aufgabenstellung wurden hier innerhalb eines Semesters mögliche Gestaltungen und ein Re-Design der Grafikkampagne für die alternative Hochschulgewerkschaft erarbeitet.

Kosok ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Juliane Rebentisch an der Professur für Philosophie und Ästhetik tätig und arbeitet momentan an seiner Dissertation zum Thema »Design, Differenz, Demokratie. Eine Vermessung des Politischen im Design mit kritischem Blick auf dessen Grenzen«. Bereits im vergangenen Jahr hat er gemeinsam mit dem Öffentlichkeitssekretariat der Gewerkschaft die unter_bau-Kampagne »Spiel Regeln Ändern: Transformation gestalten« entworfen und ist seither in die Entwicklung einer passenden Formsprache für unsere Forderungen und Inhalte eingebunden. Wir haben ihn auf dem Rundgang zum Interview getroffen und interessante Einblicke in seine Arbeit als lehrender Grafiker erhalten und etwas zur Resonanz des unter_baus im oben genannten Seminar erfahren.

Auf dem Rundgang: Eine Möglichkeit, den unter_bau zu visualisieren.

unter_bau:
Unter welchem Titel lief das Seminar? Wie hast du zu Beginn des Semesters den Studierenden das Thema »Gewerkschaftliche Organisation an der Hochschule« näher gebracht?

Felix Kosok:
Das überstehende Thema lautete »Design und Demokratie«. Einen besonderen Impuls dazu gab das 50 jährige Jubiläum der 68er Proteste und der utopische Gedanke, dass die Dinge eben anders sein können, als wir sie in der gegenwärtigen Realität erfahren. Wir schauten uns zu Beginn vor allem einige Sponti-Sprüche und Demo-Parolen an und überlegten, wie diese grafisch umsetzbar sind. Der Titel war zugegebenermaßen ein Kompromiss. Ich hätte die Inhalte gerne unter dem Titel »Design des Dissens« behandelt. Es gibt keine neutrale Gestaltung, da müssen wir uns nichts vormachen. Als GestalterInnen treffen wir immer eine Entscheidung, wie bestimmte Themen oder Produkte präsentiert werden und welche Intentionen dabei in den Fokus rücken. Natürlich ist es wünschenswert an einer universalen Ausdrucksform zu arbeiten, aber gerade die visuelle Kommunikation birgt immer auch Konfliktpotenzial.
Der unter_bau stellte im Seminar eine von vier konkreten Aufgabenstellungen dar, zu denen die Studierenden arbeiten konnten und tatsächlich war es nach anfänglichen inhaltlichen Hürden das Thema, zu dem fast alle Studierenden etwas einreichten. Erstmal war es natürlich sehr komplex das alles nachzuvollziehen, deshalb war es auch eine große Unterstützung, dass ein_e Öffentlichkeitsmandatierte_r von euch nochmal vorbeikam, um den TeilnehmerInnen zu verdeutlichen, warum das Projekt Hochschulgewerkschaft so wichtig ist. Wieso sich vor allem auch Studierende organisieren sollten und die Ausbildungsumstände an der Hochschule reflektieren und unter dem Aspekt des Leistungsdrucks kritischer betrachten sollten. An der HfG gibt es selbstverständlich ähnliche Probleme, trotz des anderen Studienschwerpunkts. Die interne Kommunikation läuft aber nicht so richtig. Und gerade das Verhältnis zwischen Studium und Arbeit sollte im internen Diskurs viel mehr Berücksichtigung erfahren.

unter_bau:
Gab es bestimmte theoretische und praktische Grundlagen, die dich in der Vorbereitung des Seminars inspirierten?

FK:
Ich beziehe mich in meiner Auseinandersetzung mit Design immer wieder auf Juliane Rebentischs »Kunst der Freiheit«, besonders ihre Analyse der philosophischen Kritik der Ästhetisierung der demokratischen Kultur. Für das Seminar habe ich aber auch Jacques Rancières Schriften zur Verschränkung von Kunst und Politik, sowie Bruno Latours »Making Things Public« und »A Cautious Prometheus?« herangezogen. Besonders Latours Einschätzung, dass »Design« das Wort »Revolution« ersetzt habe, hat bei mir einen maßgeblichen Gedankenprozess angeregt. Ansonsten waren es viele konkrete Beispiele aus der Designgeschichte, auf die ich mich bezog. Das Atelier Populaire, deren Flugblätter sich durch eine einfache Siebdruckoptik auszeichnen, ganz nach dem Prinzip »Schnelligkeit und Masse« – sehr funktional eben. Gran Fury, ein KünstlerInnen-Kollektiv, das im Rahmen des AIDS-Aktivismus der 80er Jahre in New York tätig war. Natürlich auch die Guerrilla Girls, die ja mittlerweile zu den Koryphäen des feministischen Aktivismus zählen. Mir war es wichtig, nicht nur das Thema »Klassenkampf« zu adressieren, sondern vor allem auch Perspektiven zu berücksichtigen, mit denen man sich heute konkreter identifizieren, die man auch nachvollziehen kann. »Intersektionalität« beispielsweise, und welche Auswirkungen diese auf die einzelnen Lebensrealitäten hat.
Für meine eigene grafische Arbeit inspiriert mich auch das Gorilla Kollektiv aus Amsterdam. Ich poste ja einmal die Woche sozusagen ein praktisches, also grafisches, Kommentar zu aktuellen politischen Themen auf Instagram. Die sind formsprachlich stark an den Illustrationen von Gorilla orientiert.

unter_bau:
Instagram ist ein spannendes Medium. Ich finde es ja auch immer interessant, welche Posts dort auf welche Weise rezipiert werden, beziehungsweise, wie man doch in kleinen Mengen politisches Bewusstsein einstreuen kann und welche Reaktionen bestimmte Inhalte erzielen. Meinst du, die Plattform ist für einen politischen Ausdruck geeignet?

FK:
Das ist kompliziert. Teilweise schon. Aber man muss sich schon darüber bewusst sein, dass die Inhalte vielleicht nicht mit der Intention aufgenommen werden, mit der man sie dort hochlädt.

unter_bau:
Klar, ganz nach dem Prinzip des offenen Kunstwerks nach Umberto Eco. Instagram ist ein diskursives Format. Erst die RezipientInnen vervollständigen das Werk und man publiziert ja für ein sehr breites Publikum. Von dem erfasst, interpretiert und diskutiert vielleicht nur eine kleine Nische den politischen Inhalt der Posts.

FK:
Genau, und es ist vor allem sehr schnelllebig und beliebig. Die Likes, die man auf solche Posts bekommt, sagen dann letztendlich wahrscheinlich wenig darüber aus, ob die jeweiligen BetrachterInnen sich nun tatsächlich mit dem Inhalt auseinandergesetzt haben oder das Bild einfach schön fanden.

unter_bau:
War es schwierig, solche politischen oder auch gesellschaftlichen Aspekte auf die Gestaltung im Seminar zu übertragen?

FK:
Erstmal gab es schon eine große Hemmschwelle. Aber weniger, weil die Studierenden unpolitisch sind. Bewusstsein ist schon vorhanden, es musste allerdings erstmal herausgebildet und artikuliert werden. Es war eher schwierig, weil sich viele TeilnehmerInnen offensichtlich fragten: »Was zählt eigentlich meine Meinung?« Aber das konnten wir gemeinsam überkommen. Das Seminar setzte sich außerdem sehr international zusammen, das machte es sehr spannend.
Hierzu muss ich eine kleine Anekdote erzählen: Im letzten Jahr habe ich ein »200 Jahre Marx« Seminar gegeben, es handelte sich um eine Kooperation in deren Rahmen ich unter anderem auch die Chance hatte eine Forschungsreise nach China zu machen. Im Kontext des Seminars behandelten wir unter anderem auch Themen wie »Whistleblowing«. Da wurde es tatsächlich teilweise heikel, denn gerade für chinesische Studierende scheint das immer noch eine große politische Hemmschwelle zu überschreiten. Ich habe jedenfalls in diesem Rahmen auch eine Beschwerde von der Mutter eines Studierenden darüber erhalten, welche Inhalte ich in meinen Seminaren vermittle. Damit habe ich natürlich nicht gerechnet und wollte da auch sicherlich keine Grenze überschreiten.
Ich würde ja sagen, um nochmal auf den Aspekt der Gestaltung einzugehen, dass Grafik da schon einen Sonderfall im Design darstellt. Die Funktion ist ja der Inhalt. Es ist zwar nicht jede Grafik per se politisch, aber Politik und Grafik bedingen sich. Gerade seit der Postmoderne und der Analyse von Visual Codes und Theorien der Formbefreiung als Kritik der bestehenden Verhältnisse. Grafik beinhaltet mehrere Momente von Freiheit und ich finde es schade, dass sie so von der Werbung vereinnahmt wird. In der Werbung grenzt das schon, wie einige wohl sagen würden, an »visuelle Umweltverschmutzung«. Wobei gerade unter diesem Aspekt Grafik auch ironisch agieren, oder eben diesen Umstand reflektieren kann. Deshalb finde ich es auch wichtig, dass Plattformen und Orte geschaffen werden, an denen man politische Grafik zeigen kann.

unter_bau:
Was wären solche Orte?

FK:
Naja, nicht unbedingt Litfaßsäulen. Politische Grafiken verbinde ich eher mit Wildplakatierung. Man eignet sich Orte an und macht sie dadurch zum Ausstellungsort.

unter_bau:
Um nochmal darauf zurück zu kommen: Meinst du, Plattformen wie Instagram dienen in diesem Rahmen nur der Dokumentation oder sind Teil solcher Aktionen?

FK:
Es gibt schon die Möglichkeit durch Medienformen wie Instagram Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen zu lenken. Gerade im Rahmen der WM ist das dieses Jahr immer häufiger vorgekommen. Man verlinkt Posts mit Hashtags, die dann eben in einem Massen-Newsfeed zu einem Thema auftauchen und kann damit auf Probleme und Konflikte hinweisen. Bei diesem konkreten Event war es vor allem die queere Community, die im Rahmen der Weltmeisterschaft die Diskriminierung von homosexuellen und transsexuellen Menschen in Russland adressierte.

unter_bau:
Wir befinden uns nun im Bereich der »Gebrauchsgrafik«, bzw.  der »Visuellen Kommunikation«, deren Anwendungsbereich wohl primär in der Bewerbung/Vermarktung liegt. Inwieweit, glaubst du, hat Grafik an sich politisches Potenzial? Und wie notwendig sollte die Verschränkung von Ästhetik und Politik sein?

Felix Kosok vor den Arbeiten seiner Studierenden der HfG Offenbach

FK:
Äußerst notwendig. Ich möchte an dieser Stelle gerne nochmal auf Juliane Rebentisch verweisen. Sie formuliert ja sehr eingängig, dass eine rationale Trennung von Ethik, Ästhetik und Politik nicht möglich ist. Wie ich bereits anfangs sagte, birgt Design, also Gestaltung, ja schon in seiner Wortgebung die Möglichkeit zum Anderssein. Etwas wird geschaffen und ist deshalb auch veränderbar. Und das Hinterfragen der eigenen Praxis wirkt dementsprechend auch auf das Politische und Gesellschaftliche zurück. Oder, wie ich es gerne formuliere: Design ist immer auch die Gestaltung von Gestaltbarkeit.