Zwischen Isolation und Integration: Wie pragmatisch sollte linke Hochschulpolitik sein?

Zwischen Isolation und Integration: Wie pragmatisch sollte linke Hochschulpolitik sein?

Bereits Anfang November veranstaltete der unter_bau eine Diskussionsveranstaltung zu der Frage, wie pragmatisch linke Hochschulpolitik sein sollte bzw. darf. Johannes Röß hat einen Bericht über die Diskussion nachgereicht:

Ausgangspunkt der zweiten Podiumsdiskussion des unter_baus war die Beobachtung, dass die Linke an den Hochschulen der neoliberalen Logik der Universität bisher wenig entgegensetzen konnte. Da sie sich aber auch maßgeblich aus studentisch-akademischen Kreisen zusammensetzt, müsste die Universität eigentlich ein Ort sein, an dem sie eine stärkere Gegenmacht bildet. Bisher aber hat sich in dieser Richtung nicht viel gezeigt. Zuweilen wirkt die Linke dort gar ziemlich isoliert. Die Vermutung liegt nahe, dass es ihr an organisatorischen Ansätzen und Strategien mangelt, mit denen sich Potentiale für hochschulpolitische Veränderungen nutzen ließen. Wie könnte eine Politik aussehen, die einerseits radikale Inhalte vertritt und trotzdem breitere Kreise an der Universität zu mobilisieren vermag? Darüber diskutierten Vertreter_innen des Arbeitskreises Kritische Jurist_innen, der Antifa Kritik und Klassenkampf, der Hochschulgewerkschaft unter_bau, der Linken Liste Frankfurt und der Feministischen Philosoph_innen Frankfurt. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von einer Vertreterin des Freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften.

Die Moderatorin eröffnete den Abend, indem sie an die Novemberpogrome der Nationalsozialisten erinnerte, die sich am Tag der Podiumsdiskussion zum 78. Mal jährten, und verwies daraufhin auf Adornos Diktum, dass die allererste Forderung an Erziehung sein muss, dass Auschwitz nicht noch einmal geschehe. In Zeiten, in denen es zu einer gravierenden Zunahme an rassistischer und sexistischer Gewalt komme und in denen sich reaktionäre Ideologien immer mehr ausbreiten, muss diese Forderung, so die Moderatorin, auch an der Hochschule nach wie vor als zentrale Aufgabe begriffen werden.

Die Linke Liste Frankfurt eröffnete dann die Vorstellungsrunde mit einer 14-minütigen Rede, die nicht nur das eigene Gruppenverständnis ausführlich darlegte, sondern auch dezidiert eine Kritik an gewerkschaftlicher Arbeit im Allgemeinen und am unter_bau im Besonderen vortrug. Da dies sicherlich der längste Wortbeitrag des Abends und auch die umfassendste Antwort auf die zur Vorbereitung gestellten Fragen war, soll der Beitrag der Linken Liste im Folgenden auch ausführlich zu Wort kommen. Einige der folgenden Kritikpunkte der Linken Liste, die im Verlauf des Abends nicht aufgegriffen worden sind, werden am Ende des Berichts noch einmal erörtert.

Das Selbstverständnis der Gruppe basiere, so die Vertreterin der Linken Liste, auf einer Kritik des Konsensprinzips. Damit richtet sich die Gruppe gegen die Vorstellung eines herrschaftsfreien Diskurses und Ideen von Basisdemokratie, insofern solche Konzepte immer von den ungleichen materiellen und zeitlichen Ressourcen in der bestehenden Gesellschaft abstrahieren (müssen). Eine Kritik an der Hochschulpolitik, die davon ausgehe, die Universität unterwerfe sich immer mehr den Imperativen des Neoliberalismus, ist nach Auffassung der Linken Liste ebenso falsch. Vielmehr sollte die Frage danach gestellt werden, inwiefern die Universität jemals nicht Bestandteil der universalen Verwertungslogik des Kapitals gewesen sei. Den „Pessimismus zu organisieren“ – so das Motto der Gruppe – kann demnach nicht heißen, auf die Humboldtschen Bildungsideale zu setzen, indem man etwa von einem symmetrischen Diskurs ausgehe oder ihn einfordere. Stattdessen gehe es darum zu verstehen, dass, solange die Staatsapparate und die Produktionsmittel nicht revolutionär angeeignet seien, die bürgerlichen Ideale und Werte bloße Ideologie seien. Ziel und Zweck der Politik muss es demnach sein, zunächst ein Verständnis des eigenen sozialen Standpunktes in den Produktionsverhältnissen zu erlangen. So seien Studierende und Akademiker_innen als Kopfarbeiter_innen nicht in gleicher Weise wie Handarbeiter_innen dem Verwertungsdruck ausgeliefert. Innerhalb der gesellschaftlichen Produktion spiele die Universität eine doppelte Rolle: als Produzentin von Wissen(schaft) und in der Herausbildung von bürgerlichen Subjekten. Die Universität sei demnach eine Voraussetzung der Kapitalverwertung aber nicht selbst Ort der Kapitalverwertung. Eine Kritik an den Verwertungsdynamiken an der Hochschule gehe immer mit der Gefahr einher, darauf hinauszulaufen, die eigene Arbeitskraft bloß teurer verkaufen zu wollen. Oberstes Gebot für revolutionäre Kopfarbeiter_innen sei es aber hingegen, gerade in ihrer spezifischen Funktion als Kopfarbeiter_innen den Kampf um die revolutionäre Theorie zu führen und jegliche Form von Ideologie anzugreifen. So gelte es, jede Form der positiven Bewertung von (Lohn-)Arbeit als Ideologie zu kritisieren und einem womöglich positiven Selbstverständnis der Arbeiter_innen als Arbeiter_innen die „Selbstnegation“ als einzig revolutionäre Perspektive entgegenzusetzen. Diese ideologiekritische Funktion sei gerade Aufgabe der radikalen Linken.

Gewerkschaftsarbeit besitzt, so die Vertreterin der Linken Liste, ihre prinzipielle politische Beschränkung daher auch in der Verteidigung der Arbeit. Es könne ihr letztlich nur darum gehen, die Arbeitskraft besser zu verkaufen. Daher stehe die Gewerkschaftsarbeit radikaler Politik entgegen. In den klassischen Aufgaben einer Gewerkschaft: Streiks organisieren, die finanziell durch Streikkassen gedeckt sind, Tarifverträge aushandeln, Lohnerhöhungen durchsetzen, sieht die Linke Liste den unter_bau als (noch) nicht handlungsfähig. Da dieser sich auf die Goethe-Universität beschränkt, könne der unter_bau aufgrund der damit einhergehenden niedrigen Mitgliederzahlen wohl auch in Zukunft keine Handlungsmacht als Gewerkschaft aufbauen. Auch die politische Idee des unter_baus, die Transformation der Hochschule in eine rätedemokratisch organisierte Institution, verkenne die Interessengegensätze innerhalb der Studierendenschaft: gerade das basisdemokratische Prinzip muss auf eine Mehrheit der Studierenden setzen – diese sei aber konservativ, national und bürgerlich. Daher sei die Idee einer basisdemokratischen Organisierung letztlich apolitisch und in diesem Sinne versäume es der unter_bau, die Universität als unversöhnlichen Ort zu begreifen, an dem die Konfliktlinien nicht zwischen dem Präsidium als Arbeitergeber und allen anderen als Lohnabhängigen verlaufen; stattdessen müsse die Konfliktlinie zwischen einer linken, kommunistischen und einer bürgerlichen liberalen Position gezogen werden. Die Universität auf einen Ort von Lohnabhängigkeit zu reduzieren, verkenne gerade, worin sie sich als politischer Raum auszeichne: durch den Kampf um die Theorie.

Der Vertreter des Arbeitskreises Kritische Jurist_innen Frankfurt (akj) stellte die eigene Arbeit in einer Mischung aus Satire und Klamauk dar. Der akj sei eine „Selbsthilfegruppe“ und man veranstalte z.B. jedes Semester einen Erstsemester-Barabend, indem man einen Kasten Bier bereitstelle. Auf diesem Niveau bewege sich auch die Organisierung der eigenen Gruppe. Zwar hatte der Beitrag durchaus einige humoristische Qualitäten und gut platzierte Pointen aufzuweisen, wenn man aber nicht wusste, dass der akj in Form von kritisch intervenierenden Vorträgen zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen wie Asylrecht oder Gefängnisverhältnissen an einer Kritik des (bürgerlichen) Rechts arbeitet, dann konnte anhand des Auftritts des Vertreters der Eindruck entstehen, dass diese Gruppe tatsächlich nicht viel an politischer Arbeit und politischem Anspruch zu bieten hat. Auch rückte durch die satirische Darbietung in den Hintergrund, dass das Prinzip „Selbsthilfegruppe“ des akj in Form von gemeinsamen Lerngruppen der Vereinzelung und der Konkurrenz im Studium entgegen arbeitet – Phänomene, die gerade am Fachbereich 01 stark ausgeprägt sind.

Auf den akj folgte dann die Vorstellung der Gewerkschaft unter_bau. Die Vertreterin der Gruppe antwortete zunächst einmal auf die Kritik vonseiten der Linken Liste mit der Darlegung der alternativen politischen Strategie und ging daraufhin noch kurz auf die eigene Organisationsstruktur ein. Die politische Strategie des unter_baus kann zu der der Linken Liste wohl gegensätzlicher nicht sein: anstatt davon auszugehen, dass es die große Revolution als plötzlichen Kahlschlag geben könnte, sei es politisch sinnvoller, so die Vertreterin des unter_baus, zunächst alternative Strukturen aufzubauen, von denen aus dann weiterreichende politische Veränderungen und auch eine politische Radikalisierung vorangetrieben werden können. Der unter_bau setze deshalb an den sich verschlechternden Arbeitsverhältnissen an, um ausgehend von Kämpfen um konkrete Verbesserungen auch politische Perspektiven zu eröffnen: in der Etablierung eines kollektiv geteilten Verständnisses als Lohnabhängige, etwa in Arbeitskämpfen, kann sich eine solidarische Mentalität entwickeln, über die sich ein Potential für eine weitere Transformation ergeben kann.

Als Organisation gliedert sich der unter_bau demnach auch in seiner basisdemokratischen Struktur zum einen entlang der Statusgruppen (z.B. studentische Hilfskräfte, externe Beschäftigte, wissenschaftliche Mitarbeiter_innen etc.) und zum anderen entlang der Fachbereiche: geht es in den Statusgruppen primär um die Arbeitsverhältnisse, so in der Organisierung entlang der Fachbereiche eher um spezifische Probleme und Interessen im jeweiligen Fachbereich, so z.B. hinsichtlich der wissenschaftlichen Ausrichtung. Diese unterschiedlichen Sektionen, so die Idee der föderalen, rätedemokratischen Organisation, sind in einer Gesamtorganisation zusammengefasst, in der gemeinsam zentrale Entscheidungen getroffen werden sollen, wie z.B. die Ausrufung eines Streiks.

Daraufhin stellten sich die Feministischen Philosoph_innen Frankfurt vor. Die Gruppe hat nach einem Wechsel der Mitglieder noch kein einheitliches Selbstverständnis, weshalb auch zwei Vertreter_innen der Gruppe zur Diskussion kamen. Die Feministischen Philosoph_innen kämpfen am Institut für Philosophie an der JWG-Universität sowohl für einen höheren Frauen*anteil bei den Lehrenden wie auch für mehr feministische Lehrveranstaltungen, etwa in Form von Tutorien u.Ä.. Ziel der Gruppe ist es, ein kritisches Verständnis der Vergeschlechtlichung zu etablieren, was letztlich auf die Zerstörung des Patriarchats abzielen soll.

Zuletzt stellte sich dann die Antifa Kritik und Klassenkampf (akk) vor. Hervorgegangen ist die Gruppe 2014 aus der Gruppe Campus Antifa. Sie hat noch kein fest ausgeprägtes inhaltliches Profil, dieses verändere sich laufend. Das Selbstverständnis speist sich aber entscheidend aus der Erfahrung mit den Krisenprotesten seit 2009: die Kämpfe mit anderen Gruppen und Arbeiter_innen in sozialrevolutionären Krisenbündnissen seien zwar wichtig gewesen – insbesondere einmal auf die Straße zu gehen und seinem Unmut Luft zu machen, aber wenn man schlicht so weiter mache, dann komme es gar nicht zu einem Eingriff in die Prozesse der Krise. Diese Beobachtung habe eine lange, bisher noch nicht beendete Strategiedebatte angestoßen. Deren bisheriges Fazit ist, so der Vertreter der akk, dass es das Problem der meisten radikalen linken Gruppen sei, immer an ihrer eigenen Subjektivität vorbei Politik zu machen – weil sie sich nie selbst als Lohnabhängige begreifen, die in ihrem eigenen Arbeitsleben und in ihren eigenen Familienverhältnissen konkret von kapitalistischen Verhältnissen betroffen sind. Neben den linken Gruppen fänden dann die gewerkschaftlichen Kämpfe um bessere Arbeitsbedingungen statt. Die Problematik dieser Konstellation, die es politisch zu begreifen gelte, sei,, dass den, in die konkreten Arbeitskämpfe Involvierten meist eine Einordnung ihres Kampfes in den gesellschaftlichen Zusammenhang fehle und dass sie auch kein wirkliches kritisches Verständnis von Gesellschaft hätten; während die Seite radikaler linker Gruppen zwar meist ein solches Verständnis hätte, aber keine treibende Kraft in den Arbeitskämpfen sei und die Perspektive von Arbeiter_innen auch gar nicht einnehmen würde: der einen Seite fehlt, was die andere hat – und vice versa. In Folge dieser problematischen Konstellation versucht die akk einen Rückblick auf die Geschichte der Linken und stellt sich die Frage, wo es historisch zu Fehlentscheidungen und -entwicklungen der Linken gekommen ist und an welche guten Ansätze man heute anschließen kann.

Nach dieser Vorstellungsrunde richtete die Moderation die Frage an die Gruppen, ob sie versuchen, ihre Kritik nach außen zu richten, etwa indem sie direkt in Alltagskämpfe intervenieren, und ob sie dabei eine bestimmte Zielgruppe hätten oder sich prinzipiell an alle richten; und wenn ja, ob hier nicht die Gefahr einer politischen Unterwanderung bestehe. Die Vertreterin des unter_baus antwortete hierauf, dass es genau der Ansatz ihrer Gewerkschaft sei, in die Alltagskämpfe zu intervenieren – etwa bei Konflikten um Arbeitsbedingungen. Diese Kämpfe gelte es nicht nur arbeitsrechtlich und tarifpolitisch zu führen sondern auch explizit zu politisieren bzw. als politische Konflikte für die Akteure lesbar zu machen. Infolge der spezifischen basisdemokratischen Organisationsform und auch weil der unter_bau dezidiert bestimmte Ziele und ein spezifisches Programm hat, besteht nicht die Gefahr, so die Vertreterin, dass sich reaktionäre oder konservative Kräfte breit machen. Ob der unter_bau in den konkreten Kämpfen radikaler oder ‚reformistisch‘ agieren werde, hänge letztlich vom spezifischen Verlauf der Kämpfe und von den jeweiligen Akteur_innen darin ab. Da der unter_bau nicht die Vorstellung vertrete, dass plötzlich der große revolutionäre Coup zu landen sei, und eine radikalere Transformation auch nur gelingen könne, wenn eine entsprechend weitreichende alternative Struktur etabliert sei, müsse man zunächst in kleineren Schritten vorgehen und versuchen, erst einmal die Arbeitskämpfe zu politisieren.

Die Antifa Kritik und Klassenkampf versuche auch, so der Vertreter der Gruppe, in die alltäglichen Konflikte zu intervenieren, allerdings eher in die Diskurse der radikalen Linken: indem man die Frage stellt, was die Anforderungen an eine radikale linke Politik wären und wie diese handlungsfähig werden könnte.

Die Feministischen Philosoph_innen verstehen ihre Praxis ebenfalls als Intervention in Alltagskämpfe, wobei das Ziel hierbei immer eine Kritik und Destruktion des Patriarchats ist. Insbesondere an der Universität treffe man täglich auf Sexismus in konkreter und struktureller Form. Gerade der Umstand, dass das Eintreten für feministische Lehrinhalte im Fachbereich ständig gerechtfertigt werden müsse, sei ein deutliches patriarchales Zeichen. Allgemein gelte es in jeder politischen Auseinandersetzung für das Bewusstsein der Vergeschlechtlichung einzutreten, ähnlich dem Klassenbewusstsein.

Nach dieser ersten Podiumsrunde wurde nun die Diskussion für Fragen aus dem Publikum geöffnet. In den meisten Wortmeldungen wurde danach gefragt, ob die Gruppen jenseits des politischen Engagements an der Hochschule die gesellschaftlichen und politischen Umbrüche überhaupt wahrnehmen und ob man die eigene politische Arbeit damit irgendwie in Beziehung setze.

Eine Kommilitonin der Kritischen Ökonom_innen plädierte dafür, sich wieder auf die Probleme „da draußen“ zu konzentrieren, statt sich auf die eigenen spezifischen Sprachregelungen zu fokussieren, und auch dafür, wieder zu versuchen, Mehrheiten anzusprechen. Die Vertreterin der Linken Liste verwies darauf, dass gerade angesichts der Wahl von Trump Feminismus aktueller denn je ist und fragte daraufhin, wer denn das „wir“ sein sollte, das die Kommilitonin als Subjekt der geforderten politischen Organisierung adressierte. Die Kommilitonin stimmte ihr bzgl. der Relevanz des Feminismus zu und antwortete, dass das „wir“ „die Linke“ sei: diejenigen, die verhindern wollen, dass die Ökonomisierung sämtlicher gesellschaftlicher Bereiche noch weiter vorangetrieben werde, die sich gegen das zunehmende Erstarken von rechten und faschistischen Parteien und Bewegungen stellen und dafür kämpfen, Mehrheiten für emanzipatorische Ziele zu gewinnen. Dass die Vorstellung, dass es so etwas wie ein gemeinsames Ziel von linker Politik gebe, wohl eher auf Skepsis stößt, das machte im weiteren Verlauf der Diskussion auch eine Vertreterin der Feministischen Philosoph_innen deutlich, die die Idee, dass „alle zusammen“ für ein revolutionäres Projekt kämpfen (sollten), für nicht mehr zeitgemäß erklärte. Auch verwies sie darauf, dass es falsch sei, ein „hier drinnen“ in Bezug auf die Hochschule und ein „da draußen“ in Bezug auf gesamtgesellschaftliche Probleme gegenüberzustellen, da die Hochschule nicht vom Rest der Gesellschaft abgetrennt sei. Ein zentraler Aspekt der Wortmeldung: die Frage, ob es jenseits des eigenen, spezifischen Gruppenverständnisses nicht auch gemeinsame Ziele emanzipatorischer Politik geben müsste, blieb im Laufe des Abends weitgehend unbeantwortet.

Eine weitere Frage aus dem Publikum (vonseiten des unter_baus) richtete sich an die Linke Liste bezüglich ihrer Analyse der Rolle der Hochschule im Kapitalismus und ihrer Einschätzung der alternativen Hochschulgewerkschaft. Der unter_bau vertrete keineswegs eine naive Auffassung der Hochschule als Ort, wo die Humboldtschen Bildungsideale Wirklichkeit waren oder sein sollten, stattdessen vertrete er dezidiert eine Analyse der Hochschule, die diese als integralen Bestandteil des Kapitalismus begreift. Für die Analyse des unter_baus ist es aber zentral, dass die gesellschaftlichen Institutionen auch im Kapitalismus niemals in ihrer Funktionalität aufgehen, d.h. dass es z.B. immer ein Mehr oder ein Weniger an ökonomischem Druck an den Hochschulen gibt und gegeben hat; und dass es unterschiedliche Ebenen gibt, auf denen die Ökonomisierung der Hochschule vorangetrieben wird, die es zu begreifen gilt. Mit dem Neoliberalismus, den man als einen Klassenkampf von oben beschreiben kann, der sich gesamtgesellschaftlich zeigt, wurden aber bestimmte soziale Standards und politische Möglichkeiten und Räume, die noch in den 70er und 80er Jahren als selbstverständlich galten und die z.T. auch politisch erkämpft worden sind, einkassiert. Hinsichtlich dieser gravierenden Entwicklungen stelle sich doch die Frage, welche Möglichkeiten der Verteidigung spezifischer Errungenschaften und welche darüber hinausgehenden Perspektiven für eine Politisierung sich daraus ergeben. Wenn man stattdessen, so die Kritik an der Linken Liste, nur eine abstrakte Kapitalismuskritik formuliere, wonach die Hochschule widerspruchsfrei immer schon vollständig im Verwertungszusammenhang aufgehe und die spezifische, historisch sich wandelnde Dynamik dieses Verwertungszusammenhangs nicht in den Blick nimmt; und zugleich die politische Strategie darauf hinauslaufe, dass man den Arbeitenden einfach nur erklärt, dass alles, was sie für wertvoll halten, letztlich bloß ideologischer Müll ist – dann könne sich daraus nicht die Möglichkeit ergeben, Leute für eine gemeinsame progressive Politik zu mobilisieren.

War in der Publikumsfrage explizit davon die Rede, „Leute“ für eine „gemeinsame progressive Politik zu mobilisieren“, so wechselte die Vertreterin der Linke Liste in ihrer Antwort das sprachliche Register: sie wolle gar keine „Massen mobilisieren“ , denn „die Massen sind reaktionär“, daher könne man mit den „Massen“ auch gar keine Revolution machen. Eine Demokratisierung der Hochschule könne auch niemals zu einer wirklichen Demokratisierung der Hochschule führen, weil der demos dieser demokratischen Hochschule die Masse sei – und diese sei eben reaktionär. Mit einer solchen Haltung aber, so eine im weiteren Verlauf des Abends aus dem Publikum geäußerte Kritik an der Position der Linken Liste, ontologisiere man gerade das soziale und politische Elend, statt etwas gegen den reaktionären roll back zu tun. Auf diese Problematik ging die Linke Liste nicht weiter ein.

Eine weitere Frage aus dem Publikum richtete sich auf das Verhältnis von Politisierung und Mobilisierung: statt einfach den „Massen“ ein falsches Bewusstsein zu attestieren, müsse es doch darum gehen, diese zunächst zu politisieren. Ohne den Versuch zu unternehmen, auf den Gehalt der Frage ernsthaft einzugehen, wurde vonseiten der Feministischen Philosoph_innen entgegnet, es gehe ihnen nur darum, Erstsemester_innen zu erreichen, und zurückgefragt, ob „Massen mobilisieren“ denn so etwas wie „Hexen lynchen“ sei. Dass gerade durch solche Reaktionen der politische Diskurs im schlechten Sinne ausschließend und zum Jargon wird, da erst gar nicht der Versuch unternommen wird, die eigene Kritik auch denjenigen zu erläutern, die ein anderes Vokabular oder auch problematische Begriffe verwenden, war dann auch der Kritikpunkt des darauf folgenden Publikumsbeitrags. Wenn der Versuch von linker Politik nicht mehr sei, Mehrheiten für progressive und solidarische Ziele zu gewinnen, dann gebe sich der politische Anspruch der Linken selbst auf, so die Kritik aus dem Publikum. Was sich auf dem Podium abspiele, sei daher ein „unglaubliches Trauerspiel“.

Erst auf diese Kritik folgte – am Ende des Abends – wieder eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit der Frage nach der Politisierung: eine Vertreterin der Feministischen Philosoph_innen antwortete, dass es einen Unterschied macht, ob man „Massen mobilisieren“ oder „Menschen“ für den eigenen Kampf gewinnen möchte. Auf diesen wichtigen Punkt wies später auch der Vertreter der Antifa Kritik und Klassenkampf hin. Dies machen die Feministischen Philosoph_innen etwa, indem sie mittels Tutorien versuchen, feministisches Denken am Fachbereich stärker zu machen.

Die Vertreterin des unter_baus griff daraufhin die Frage nach einer gruppenübergreifenden Politisierung auf: ihre Erfahrung an der Universität sei es gerade, dass sehr viele Kolleg_innen eine ähnliche Kritik am Kapitalismus und am zunehmenden und immer stärker zu spürenden Konkurrenzdruck teilen. Hierfür habe es aber bisher noch keine passende hochschulpolitische Gruppe, Partei oder Gewerkschaft gegeben – der unter_bau versuche gerade diese Lücke zu füllen und eine Organisation aufzubauen, die diesem Unbehagen eine politisch weiterreichende Perspektive und Dynamik geben kann. Auch der Vertreter der Antifa Kritik und Klassenkampf plädierte daran anschließend für ein Ansetzen bei Arbeitskämpfen und den negativen Erfahrungen von Lohnabhängigen.

Der versöhnliche Versuch der Moderatorin am Ende des Abends, darauf zu verweisen, dass das sehr heterogene Politikverständnis und die wohl auch sehr unterschiedliche politische Praxis auch ein Potential sein könnte, konnte nach diesem Abend wohl bei den wenigsten greifen. Denn die – ausgehend von der kontroversen Diskussion über die Frage, wie pragmatisch linke Hochschulpolitik sein sollte – immer wieder aus dem Publikum an das Podium gerichtete Frage: wie eine gemeinsame emanzipatorische Politik jenseits der eigenen Gruppen aussehen könnte; eine linke Politik, die sich dem krassen Erstarken einer konservativ bis faschistoiden Rechten und der sich verschärfenden ökonomischen Konkurrenz entgegen stellen könnte – diese Frage blieb weitgehend unbeantwortet. Nicht etwa deshalb, weil diese Frage eine der wohl derzeit schwierigsten und zugleich dringlichsten Fragen emanzipatorischer Politik darstellt und daher wohl weder mit konventionellen Rezepten beantwortet, noch von politischen Gruppen an der Hochschule gelöst werden kann. Die Frage blieb weitgehend unbeantwortet, weil sie nicht in einer, der jeweiligen Gruppe ins Konzept passenden Begrifflichkeit gestellt worden war oder Verweise auf gesellschaftliche Entwicklungen schlicht als irrelevant abgetan wurden. Nur der Vertreter der Antifa Kritik und Klassenkampf und die Vertreterin des unter_baus wichen der Frage nicht aus und verwiesen auf Arbeitskämpfe als den Ort, wo es den Hebel einer politischen Organisation mit emanzipatorischem Ziel anzusetzen gilt. Dominiert wurde die Diskussion jedoch nicht von solchen Vorschlägen sondern vom Mantra „die Masse ist reaktionär“ und von der Tendenz, erst gar nicht den Versuch zu unternehmen, Fragen oder Kritik, die nicht im eigenen Vokabular formuliert worden waren, ernst zu nehmen.

Abschließend soll noch einmal die Frage nach der Möglichkeit einer politischen Organisierung an der Hochschule im Kontext der aktuellen sozialen und politischen Veränderungen aufgegriffen werden. Für die Beobachtung, dass die Mehrheiten in vielen Gesellschaften immer stärker einer nicht mehr nur nationalistischen sondern auch offen faschistoiden Ideologie folgen, genügt ein Blick in die Tageszeitung, wie der Vertreter der Antifa Kritik und Klassenkampf anmerkte. Diese Entwicklung macht natürlich auch vor den Türen der Hochschulen nicht Halt. Wenn also die „Masse“ auch an der Hochschule so durch und durch reaktionär ist oder werden könnte, wie es die Linke Liste beschwor, dann müsste es jedoch Aufgabe politischer Gruppen an der Hochschule sein, sich zu fragen, wodurch dieses reaktionäre Bewusstsein konkret bestärkt wird und wie man es vermag, die Hochschule ein Stück weit mehr in einen Ort zu verwandeln, an dem ein solidarisches und gesellschaftliches Bewusstsein ausgebildet werden kann – was wiederum auch Impulse in die gesamtgesellschaftliche Entwicklung aussenden könnte. Mit einer bloß abstrakten Kapitalismusanalyse, wonach die Hochschule schon immer Teil des kapitalistischen Verwertungszusammenhangs gewesen sei, ja vermeintlich vollständig in dieser Funktion aufgehe, ist es nicht getan. Gerade aufgrund des zunehmenden ökonomischen Drucks auch an den Hochschulen und aufgrund des damit wachsenden Unbehagens bei den Hochschulangestellten gilt es hier eine progressive politische Deutung des Konflikts zu entwickeln: eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass sich ein solidarisches Bewusstsein bei den Lohnabhängigen entwickeln kann und es nicht bei der neoliberalen, bloß auf’s eigene Fortkommen schielenden Subjektivität bleibt. Dafür muss man aber mehr bieten als bloß abstrakte Wert- und Ideologiekritik, wie es etwa die Linke Liste tut. Ein solidarisches und klassenkämpferisches Bewusstsein entwickelt sich nicht allein über Ideologiekritik – das wäre schlechter Idealismus; es braucht auch eine gemeinsame Praxis: gerade in Form von Arbeitskämpfen kann sich ein Wissen von politischen Handlungsmöglichkeiten und Veränderungspotentialen entwickeln. Ist die Perspektive dieser Arbeitskämpfe nicht nur eine Gehaltserhöhung sondern zielt darüber hinaus auf die Selbstverwaltung der Arbeit und eine Wissenschaft, die ihre gesellschaftlichen Voraussetzungen reflektiert und beginnt ihre gesellschaftliche Einbindung bewusst umzugestalten, dann eröffnen diese Arbeitskämpfe Perspektiven, die über eine Sozialpartnerschaft unter kapitalistischer Heteronomie hinausweisen. Diese Perspektive will der unter_bau eröffnen. Wenn inzwischen mehr als 40% eines Jahrgangs die Universität durchlaufen, dann ist es auch gesamtgesellschaftlich entscheidend, nicht nur welche Form von wissenschaftlicher oder auch politischer Kultur hier vorherrschend ist, sondern auch wie die Arbeitsverhältnisse dort aussehen. Denn auch Letzteres hat wiederum Rückwirkungen: auf die Qualität der Lehre, der Wissenschaft und auch auf ihre Inhalte. Hier darauf zu beharren, man sei eben Kopfarbeiter_in an der Universität und hätte nun mal andere Probleme und Aufgaben als die Handarbeiter_innen, nämlich reine Ideologiekritik, ist angesichts einer sich seit dem 19. Jahrhundert veränderten gesellschaftlichen Arbeitsteilung anachronistisch. Ob es gelingen wird, wieder eine emanzipatorische Politik von gesamtgesellschaftlicher Tragweite zu etablieren, wird sich sicherlich nicht allein an den Hochschulen entscheiden – aber auch dort.

Johannes Röß