Schule gegen den autoritären Charakter: unter_bau bewirbt sich als Kanzlerin der Goethe-Uni

Schule gegen den autoritären Charakter: unter_bau bewirbt sich als Kanzlerin der Goethe-Uni

Der unter_bau, Hochschulgewerkschaft i. Gr., hat sich ganz offiziell auf die Kanzlerstelle der Goethe-Uni beworben, die infolge des Abgangs von Holger Gottschalk zurzeit ausgeschrieben ist. Leider nicht ganz fristgerecht, waren wir doch zu sehr mit dem Entwerfen von Anträgen, der Einwerbung von Drittmitteln und der Erfüllung jedweder erdenklicher Berichtspflichten beschäftigt. Das mit einem Augenzwinkern verfasste “Bewerbungsschreiben” soll vor allem auf die Widersprüche der vom Präsidium verfolgten Reformagenda neoliberalen Typs hinweisen. Und zugleich soll es einen Vorgeschmack auf ein mögliches Grundsatzprogramm des unter_bau geben. Wir dokumentieren hier das Schreiben:

Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Wolff,

mit großer Freude dürfen wir Ihnen mitteilen, dass sich der unter_bau, Hochschulgewerkschaft i.Gr., als Kanzlerin der Goethe-Universität Frankfurt bewirbt.

Um die Haushalts- und Personalführung eines so großen und diversifizierten Unternehmens wie der Goethe-Universität dirigieren zu können, bedarf es nicht nur einer ganzen Reihe von Erfahrungen und Sachkenntnissen über die universitären Abläufe, sondern auch eines tiefgreifenden Verständnisses der politischen Strategie, mit der das Präsidium die Kommodifizierung von Forschung, Bildung und Wissenschaft sowie die Entdemokratisierung der Hochschule zu verwirklichen gedenkt. Ohne uns über Gebühr schmeicheln zu wollen, möchten wir doch behaupten, dass der unter_bau sich als Bewerberin wie wohl sonst niemand durch seine analytische und praktische Expertise, geballte Kompetenz, wahrhaftige Exzellenz und radikale Innovationspotentiale auszuzeichnen vermag.

Bei uns sind Begriffe wie „Reformorientierung“ und „Revolutionierung der Lehre“ nicht bloße Worthülsen zu Marketingzwecken. Mit unserer konsequenten Transformationsstrategie werden wir eine wirkliche „Autonomie der Hochschule“ als Selbstverwaltung aller Universitätsangehöriger etablieren, den Zusammenhalt der Beschäftigten durch eine umfassende Solidarität stärken und die Grundlagen schaffen, um aufklärerische Wissenschaft in der, mit der und für die Gesellschaft zu betreiben.

Aus den Maulwurfspfaden der Universität

Der unter_bau kennt die Universität so gut, wie eine Westentasche nicht ertastet werden könnte – und wäre sie auch die eigene. Denn der unter_bau ist es, der täglich ihren Überbau auf seinen Schultern trägt und die Universität dadurch am Laufen erhält: Von den Mitgliedern werden die verschiedensten Seminare besucht, die unterschiedlichsten Vorlesungen gehalten, die hintersten Winkel der Gebäude geputzt und die kompliziertesten Skripte programmiert. Jede Anwesenheitsliste, jeder Arbeitsvertrag, jede Gremienentscheidung und jeder Forschungsauftrag befand sich schon unter unserer Lupe. Eine so vielfältige und enge Verbindung mit der Universität lässt eine Menge Wissen über ihre Organisation und Abläufe entstehen. Ebenso eröffnet eine so heterogene und breit zusammengesetzte Basis ausdifferenzierte Perspektiven, die in alle Bereiche von Studium und Lehre über Forschung zu Administration und Haushaltswesen hineinreichen.

Im unter_bau treffen Kernkompetenzen und Know-how aus mehr als 300 Jahren Berufserfahrung in über 74 Jobs auf Kreativität, politisches Selbstbewusstsein und Mobilisierungspotential. Zwischen den Ausbildungs- und Berufserfahrungen von Arbeiter_innen und Wissenschaftler_innen aus allen universitären Bereichen entstehen Synergien, die sich nicht nur in der bloßen Wissensweitergabe oder -anwendung, sondern in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand entfalten.

Die Verwirklichung des neoliberalen Zeitgeistes reflektieren

Wir wollen Ihnen unsere kritisch-analytische Kompetenz an die Seite stellen und mit dieser Ihre Mission begleiten, die unternehmerische Transformation der Hochschulen an der Goethe- Universität entsprechend des neoliberalen Zeitgeistes zu verwirklichen.

Dabei muss man natürlich sehen, dass diese Transformation vor dem Hintergrund einer chronischen Unterfinanzierung der Hochschulen durchgesetzt wird: Seit 1975 ist der prozentuale Anteil des BIP, der in Deutschland für Hochschulen aufgewendet wird, nicht mehr gestiegen – obwohl die Studierendenzahlen seitdem mehrfach explodiert sind. Die zunehmende Einsparung in Bereichen der gesellschaftlichen und kulturellen Reproduktion wie der Bildung ist insbesondere im Kontext des neoliberalen „Klassenkampfs von oben“ (Warren Buffett) notwendig, um Arbeitskraft günstiger zu reproduzieren und somit Unternehmens-, Vermögens- und Erbschaftssteuern weiterhin senken zu können; um sich weiterhin europäische und globale Steuerparadiese für große Konzerne und die Milliardärsklasse leisten zu können; und natürlich um in Zeiten der ökonomischen Dauerkrise Hunderte Milliarden von Euro in die Finanzmärkte zu pumpen. Dass bei dieser Politik viel zu wenig Geld für Bildung und ähnlichen Firlefanz bleibt, ist offensichtlich alternativlos.

Für das Projekt der unternehmerischen Hochschule ist diese permanente Krise jedoch eine Chance. Denn die chronische Unterfinanzierung lässt es scheinbar notwendig erscheinen, einen radikalen Umbau der Hochschule im Namen der Effizienzsteigerung und einer Etablierung pseudo-marktförmiger – tatsächlich zu 80 Prozent aus öffentlichen Geldern finanzierter – „Wettbewerbe“ voranzutreiben. Finanzielle Mittel werden zunehmend nur noch leistungsbezogen vergeben, was natürlich immer vorab die Schaffung der dafür notwendigen Datengrundlagen bedeutet und somit einen enormen Bürokratisierungs- und Kontrollaufwand mit sich bringt. Selbstverständlich ist das bürokratischer Irrsinn und in Wirklichkeit hochgradig ineffizient. Aber: Es bringt den Vorteil, die Wissenschaft und Wissensvermittlung im Sinne der dominanten gesellschaftlichen Interessen besser steuern und kontrollieren zu können.

Aus Verwertungs- und Herrschaftsgesichtspunkten ohnehin störende Potentiale eines Studiums, die zur Erlangung einer kritischen Allgemeinbildung oder gar einer Erziehung zur Mündigkeit führen könnte, ließen sich durch die Studienreformen von Bologna effektiv einsparen. Anstelle von Bildung in einem anspruchsvollen Sinne gilt es, möglichst schnell, möglichst viel Output an Abschlüssen zu produzieren. Die fehlenden materiellen Voraussetzungen für eine gute Lehre und Betreuung und die daraus resultierende Orientierungslosigkeit und Überforderung der Studierenden werden durch immer mehr Erfassungs-, Disziplinierungs- und Gängelungsinstrumenten kompensiert.

Permanente Konkurrenz in der Wissenschaft bringt permanente Existenzangst (Prekarisierung) mit sich und hält die Wissenschaftler_innen dazu an, sich an dem zu orientieren, was sich am besten verkaufen lässt – sich also an den dominanten Zeitgeist anzupassen. Zudem bietet diese Konkurrenz natürlich die Möglichkeit weitere Kürzungen zu legitimieren und die Beschäftigten der Universität untereinander zu spalten und entsolidarisierend zu wirken: denn diejenigen, die auf der Strecke bleiben, sind ja offensichtlich selbst verantwortlich für ihre fehlende Finanzierung, haben sie sich doch als nicht hinreichend konkurrenzfähig erwiesen.

Ausreichend Ressourcen gibt es nur noch für die neuen „Eliten“ – aber auch das nur im Ausgleich für das Hamsterrad des permanenten Anträge- und Berichteschreibens sowie das Perfektionieren der eigenen Selbstvermarktungsqualitäten. So wird erstens sichergestellt, dass ausschließlich bestimmte unternehmerische Typen zu erfolgreichen Hochschullehrer_innen und Wissenschaftler_innen werden und die wissenschaftlichen Diskurse bestimmen. Es wird damit auch zweitens gewährleistet, dass diese Charaktere – sollten sie aller geförderten Tendenzen zum Trotz sich doch nicht bloß immerfort um eine gute Selbstdarstellung bemühen wollen, sondern an wirklicher Erkenntnis interessiert sein – gar keine Zeit mehr zum ernsthaften Denken oder für wirkliche Forschung haben.

Die Entdemokratisierung der Hochschule verstehen

Im Inneren geht diese Entwicklung zudem einher mit einer Stärkung der Hochschulleitungen auf Kosten der demokratischen Partizipation der Statusgruppen in den universitären Gremien. Irreführenderweise wird das als „Autonomie“ bezeichnet. Gemeint ist damit jedoch erstens nur die negative Freiheit der Hochschule von Grundversorgung, die in Wirklichkeit eine permanente Abhängigkeit von „Drittmitteln“ bedeutet; zweitens eine bloß negative Autonomie der Fachbereiche, über Kürzungen selbst entscheiden zu dürfen; und drittens, dass bezüglich allem, was die Profilbestimmung der Uni anbelangt, das Uni-Präsidium mit seinen außerhalb der formellen Strukturen geschaffenen, handverlesenen informellen Dunkelmännergremien und Klüngelräten zum effektiven Durchregieren befähigt wird.

Hinzu kommt natürlich, dass diese sogenannte Autonomie gewiss nicht bedeutet, dass die Universität frei wäre von Anforderungen der Wirtschaft und der Politik. Ganz im Gegenteil: Klares Ziel der EU-Forschungspolitik ist es ja, die Forschung in den Dienst besserer Investitionsmöglichkeiten (d.h.: besserer Bedingungen der Kapitalverwertung) und gesteigerter globaler Wettbewerbsfähigkeit zu stellen. Und da gerade die neoliberalen Transformationen aller gesellschaftlicher Bereiche zu steigenden gesellschaftlichen Spannungen führen, darf selbstverständlich auch die Politikberatung nicht fehlen.

Auch die Verwaltung der Uni wird umstrukturiert und gespalten: Neu geschaffen werden hochbezahlte Stabsstellen für Wissenschaftsmanager, die „revolutionäre“ Innovationsstrategien und Umstrukturierungspläne aus ihren Wissenschaftsmanagementhandbüchern widerkäuen, um durch möglichst eindrucksvolle Schaubilder und Hochglanzpräsentationen den Eindruck von Effizienz und Innovationskraft zu erwecken. Daraus folgt zudem ein permanenter Anpassungsanspruch an die technisch-administrative Verwaltung, die damit permanent mehr gefordert wird: einerseits aufgrund der häufigen Untauglichkeit, jedenfalls Unverständlichkeit, dieser von außen verordneten Pseudo-Reformen, die mit fehlender Sachkenntnis der wirklichen Abläufe einhergehen; andererseits, da die permanente Befristung und Umstrukturierung insbesondere auch zu einer permanenten Abwanderung von wirklichen Know-How führt, und ohnehin die technisch-administrative Infrastruktur, dieses wirkliche Rückgrat der Universität, chronisch unterbesetzt  ist.

Hören Sie auf unseren Rat

Wir haben verstanden, dass Ihr Programm für die Goethe-Universität exakt diesen Zeitgeist widerspiegelt, dass Sie die Anpassung an die wirtschaftlichen und politischen Erfordernisse vorantreiben möchten und dass Sie darin die Möglichkeit sehen, die Universität Ihrer Auffassung nach zu „retten“. Leider müssen wir Ihnen sagen, dass dieser Prozess derartige Widersprüche mit sich bringt, dass ihr vermeintlicher „Erfolg“ zugleich Lehre, Wissenschaft und Verwaltung der Universität kaputt machen wird – und selbstverständlich, allem voran, alle demokratischen und aufklärerischen Potentiale vernichten muss.

Denn der Innovationszwang fördert keine wirklichen Innovationen, sondern allein professionelle aber inhaltsleere Selbstvermarktung; all die Wettbewerbe, die eine Effizienzsteigerung mit sich bringen sollen, führen in Wirklichkeit zu einer immer weiter voranschreitenden Bürokratisierung (Anträge, Evaluationen, Berichte schreiben…) der Wissenschaft und des Geistes; und die fehlende Wertschätzung einer soliden, materiell abgesicherten Verwaltung und Lehre und die zunehmende Verschulung des Studiums untergraben zudem die eigenen Reproduktionsbedingungen des Wissenschaftssystems: die Hervorbringung mündiger, an Erkenntnis interessierter Studierender und Wissenschaftler_innen.

Diese selbstzerstörerischen Dynamiken wollen wir politisieren, indem wir sie analysieren und auf den Begriff bringen. Und noch mehr: Wir werden diese Reformen zum Tanzen bringen, indem wir Ihnen Ihr eigenes Lied vorspielen! Stellen Sie uns ein, wenn Sie täglich den Spiegel vorgehalten haben möchten.

Von der Third Mission zur Fourth Mission

Doch damit nicht genug. Wir verstehen außerdem, dass dieser Geist sich beispielsweise auch in dem derzeit ja so wichtigen Konzept der Third Mission widerspiegelt. In dieser Mission geht es ja vorgeblich darum, die Kooperation mit externen gesellschaftlichen Akteuren und die wertvollen Beiträge der Hochschule für die Gesellschaft insgesamt zu stärken. So formuliert hört sich das durchaus vernünftig an. Und der Bedeutung externer gesellschaftlicher Interessen können wir auch etwas abgewinnen. Wir denken da etwa an ein Kanzlerprogramm, dass dieser Bedeutung Rechnung trägt, indem  alle outgesourcten „Dienstleister“ in die Hochschule und ihre Tarifverträge integriert werden.

Aber leider befürchten wir, dass sie nicht die Interessen der Lohnabhängigen meinen, sondern unter „Gesellschaft“ nur die ohnehin dominanten, zahlungskräftigen Interessen verstehen. Wenn Sie einen Blick auf die Stiftungsprofessoren und Sponsoren unserer Uni werfen, werden Sie sehen, was gemeint ist. In Wirklichkeit scheint es leider bei Ihrer Third Mission doch nur darum zu gehen, einerseits die Nähe zu privaten Sponsoren auszubauen sowie andererseits die Anbindung an die herrschende Politik zu suchen. Diese kann sodann konkrete Forschungsfragen an die Universitäten richten, wie die Ordnung besser aufrechterhalten wird – statt nach den tieferen Ursachen der zunehmenden gesellschaftlichen Instabilität zu suchen. Durch diese Entwicklung würde jedoch offensichtlich auch der Schein der Freiheit der Forschung und Lehre aufgegeben und die Unterordnung unter die Erfordernisse der Kapitalverwertung und Politikberatung im Sinne der Herrschaftssicherung würde zum explizit eingestandenen raison d’être unserer Universität werden. Das sollten wir also nicht zulassen!

Deswegen halten wir es für unabdingbar durch unsere Kanzlerschaft Ihrem ideologischen Begriff der Third Mission unseren fortschrittlichen und wahrhaft transformativen Begriff der Fourth Mission entgegenzustellen. Die für das Programm unserer Kanzlerschaft zentrale Fourth Mission würde ernst machen mit dem Anspruch, die wirklich drängenden gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit anzugehen: den steigenden ökonomischen Druck auf die lohnabhängige Mehrheit der Bevölkerung, die zunehmend prekarisierte menschliche und kulturelle Reproduktion unserer Gesellschaft, die selbstzerstörerischen Tendenzen eines Wirtschaftssystems, das strukturell auf Kurzfristigkeit und Ausbeutung aller vorhandenen Ressourcen ausgerichtet ist und dadurch die planetare Lebensgrundlage der gesamten Menschheit zerstört und die gesamte weltweite gesellschaftliche Entwicklung einem unendlichen Verwertungszwang unterwirft, sowie die zunehmend autoritären und antidemokratischen Tendenzen der Gegenwart und ihre Begleiterscheinung der nationalistischen und chauvinistischen Reaktionen.

Mehr Licht!

Durch eine wirkliche Integration der von diesen Problemen betroffenen gesellschaftlichen Interessensgruppen in unsere Universität werden wir diese zu einem Ort der Aufklärung und der radikalen Analyse der gesellschaftlichen Zusammenhänge machen. Wir wollen zu diesem Zweck die Bildungsmöglichkeiten der Universität auch für Menschen öffnen, denen der normale Zugang zur Hochschule versperrt ist. Wir sehen eine wirkliche Pluralität der Hintergründe der Studierenden und Lehrenden nämlich als Bereicherungen an und wollen diesbezüglich auch  Geflüchteten und Migrant_innen – sofern von ihnen gewünscht – Bildungsmöglichkeiten an der Universität eröffnen, sowie Räume schaffen, um sie von ihren Erfahrungen berichten zu lassen und gemeinsam über die globalen Zusammenhänge, die diese Fluchtursachen hervorbringen, zu reflektieren.

Und selbstverständlich setzen wir uns zudem dafür ein, feministische Errungenschaften gegen chauvinistische und vermeintlich post-feministische Tendenzen zu verteidigen und den Kampf gegen Diskriminierung und für einen höheren Anteil von Frauen in der Wissenschaft und als Professorinnen fortzusetzen. Zu diesem Zweck werden wir uns vor allem auch dafür einsetzen, eine angemessene materielle Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, damit Mütter (und Väter) sich nicht zwischen Kindern einerseits und Studium und Wissenschaft andererseits entscheiden müssen. Auf diese Weise sollen marginalisierte Interessen besser in die Universität integriert werden.

Und mehr: Da wir im Inneren der Hochschule ansetzen und den Aufbau wirklich demokratischer Strukturen der Selbstverwaltung der Beschäftigten in der Universität vorantreiben werden, wird die Universität auf diese Weise selbst zur Keimzelle emanzipatorischer gesellschaftlicher Veränderungen werden.

Statt also die Anpassung an gesellschaftliche Zwänge weiter voranzutreiben, werden wir durch die Begleitung Ihrer „Reformarbeit“ wieder ein kritisches Bewusstsein von der Gesellschaft in der Hochschule und der Hochschule in der Gesellschaft fördern und der immer weiter zunehmenden Prekarisierung von Gesellschaft und Wissenschaft einen wirklichen Solidarzusammenhang entgegensetzen. Unsere gewerkschaftlich-politische Doppelstrategie birgt die besten Voraussetzungen, um demokratische und solidarische Impulse in der Hochschule zu stärken und sie über den Kosmos der Universität hinaus in die Gesellschaft zu tragen.

Ohne uns droht schlimmes

Ohne unsere Kampfkraft für bessere Arbeits- und Studienbedingungen sehen wir nicht nur schwarz für das von Ihnen gepriesene „besondere Erbe der Frankfurter Tradition“, das uns „Formen der (Selbst-)Kritik“ überantwortet, die es „zu bewahren und weiterzuentwickeln gilt“ – sondern für jedweden aufklärerischen, freiheitlichen und demokratischen Anspruch an der Goethe-Universität. Wir sehen, dass die bürgerliche „Bildung“ durch die gegenwärtigen Entwicklungen ungefähr auf das Niveau herabgewürdigt wurde, wie es durch das satirisch-künstlerische Statement der pseudo-pluralen Goethe-Gartenzwerge zur 100-Jahrfeier der Universität so anschaulich versinnbildlicht wurde.

Darüber sollte man sich nicht freuen. Denn die Gefahren der daraus resultierenden Konformisierung und Verflachung des Denkens vor dem Hintergrund der durch den Neoliberalismus intensivierten selbstzerstörerischen gesellschaftlichen Tendenzen und die in allen gesellschaftlichen Bereichen kultivierten sozialdarwinistischen Haltungen sind enorm. Diese Entwicklungen beschwören derzeit einen vermeintlich überwunden geglaubten Nationalismus wieder herauf, vor dessen Hintergrund die Universität umso dringlicher einen wichtigen Beitrag zur Ausbildung kritischer Reflexion und demokratischer Haltungen unter Beschäftigten, Studierenden und Wissenschaftler_innen leisten sollte.

Wie viel unsere Gesellschaften aus Faschismus und Nationalsozialismus wirklich gelernt haben, lässt sich hingegen übrigens leider auch an der Geschichte und Gegenwart der Goethe-Universität nur allzu gut aufzeigen: Nicht nur so manche Familiengeschichte wichtiger Sponsoren hielte da erhellendes und lehrreiches Anschauungsmaterial bereit; auch Marketing Kongresse „für Studierende, Professionals und Professoren“ mit Titeln wie „Lead or Die!“ vermitteln deutlich, welchen Beitrag unsere unternehmerische Hochschule zur Kultivierung sozialdarwinistischer, antisolidarischer Haltungen leistet. Mit Drillspielchen im Stile von Militärausbildungen sind die E-Wochen und O-Phasen zu Studienbeginn zudem die offensichtlich passenden Initiationsriten für den Beginn einer anti-aufklärerischen Erziehung zur Unmündigkeit.

Adorno-Tassen, eine (von der Quandt-Stiftung gesponserte) geplante Adorno-Akademie und ein Adorno-Schrein auf dem Adorno-Platz neben der Max-Horkheimer-Straße genügen sicherlich nicht, um dem zu begegnen. Manch kritische Stimmen mutmaßen ohnehin, das Label „Frankfurter Schule“ würde von der Uni-Leitung doch ausschließlich zu Marketingzwecken verwendet werden. Wir hingegen wollen Sie darin ermutigen, mit diesen Namen einen inhaltlichen Anspruch zu verbinden. Sicherlich stimmen Sie zu, dass gerade in Anbetracht der drohenden Gefahr reaktionärer Tendenzen in unserer Gesellschaft sowie zunehmender Rufe nach Militarisierung und Aufrüstung in der Außenpolitik alle demokratisch gesinnten und an Frieden orientieren Menschen ein Interesse daran haben müssen zu verstehen, was Max Horkheimer meinte, als er sagte: „Wer vom Kapitalismus nicht sprechen will, soll vom Faschismus schweigen!“ Selbst im Ahlener Programm Ihrer Partei wurde dieser Zusammenhang ja halbwegs trefflich festgehalten – nur um schnellstmöglich wieder vergessen zu werden.

Schule gegen den autoritären Charakter

Gegen den erstarkenden Nationalismus und den zunehmend autoritären Neoliberalismus, der ihm den Nährboden bereitet, muss die demokratische Antwort darin bestehen, gerade gegen die Art von entsolidarisierenden Haltungen anzukämpfen, die leider auch in der unternehmerischen Hochschule noch verstärkt werden. Statt durch permanent forcierte Konkurrenz Haltungen unter Beschäftigten, Studierenden und Wissenschaftler_innen zu fördern, die Ellbogen auszufahren, als Einzelkämper_innen nur das eigene Fortkommen zu verfolgen, sich stromlinienförmig anzupassen und im Mainstream mitzuschwimmen, nach oben zu buckeln und nach unten zu treten und die Nicht-Konkurrenzfähigen untergehen zu lassen, müsste die progressive Antwort unserer Universität darin bestehen, Solidarität durch gemeinsame Kämpfe für die eigenen ökonomischen Rechte zu entwickeln und dadurch die materiellen Voraussetzungen für demokratische Forschung und Lehre zu schaffen. Die Anerkennung eines umfassenden Streikrechts wäre ein wesentliches Moment zu diesem Zweck.

Der unter_bau wird seinen Beitrag dazu leisten – und wir sind uns sicher, dass Ihre Präsidentschaft den richtigen Rahmen dafür bietet, um unser Potenzial und unsere Stärken vollumfänglich zu entfalten. Um diesen Prozess also gemeinsam in einer dialektisch verbundenen Einheit vorantreiben zu können, denken wir, dass es nicht zu viel wäre zu behaupten, dass eine Einstellung des unter_bau als Kanzlerin der Goethe-Universität der Aufklärung und der Erkämpfung des Fortschritts im Kleinen wie im Großen durchaus sehr dienlich wäre.

 

Hochachtungsvoll,

unter_bau

(Hochschulgewerkschaft i. Gr.)